Die Gründung des Roten Kreuzes
Vor 150 Jahren bewegte eine Schlacht einen Kaufmann zum Aufbau der Organisation
Das kleine lombardische Städtchen Solferino ist ein beschaulicher Ort. Es gibt ein paar Cafés und zwei Hotels, doch Touristen verschlägt es nur selten hierher. Dabei sind es nur ein paar Kilometer von Solferino nach Sirmione, dem Touristenmekka am Gardasee. Gäbe es nicht ein Museum, eine Gedenkstätte und das Ossario, das Beinhaus, ein schauerliches Memento mori mit mehreren 1000 hinter Maschendraht aufgestapelten Schädeln – nichts erinnerte mehr daran, was am 24. Juni 1859 hier geschah:
Es war eine der größten Schlachten des 19. Jahrhunderts, bei der in Solferino und Umgebung fast 300.000 Soldaten aufeinandertrafen, Napoleon der Dritte von Frankreich und der österreichische Kaiser Franz-Joseph führten die Truppen an in diesem Kampf, der den Weg zur Einigung Italiens ebnen sollte. Mindestens 50.000 Soldaten starben in dieser Schlacht, viele, wenn nicht die meisten von ihnen nach der Schlacht. Die Verwundeten erlagen ihren Verletzungen oft nach Tagen, unter unsäglichen Qualen, weil ärztliche Hilfe fehlte.
Einer der das alles miterlebte, war der Genfer Kaufmann Henri Dunant. Er war in die Lombardei gekommen, weil er Napoleon den Dritten um eine Audienz bitten wollte, wegen eines Staudammbaus in Algerien. Napoleon bekam er nicht zu sehen, stattdessen dieses Elend, in dem französischen Film “Du rouge sur la croix” über Dunants Lebensgeschichte grausam-realistisch gespielt. Und er ändert seine Pläne:
Aus: “Du rouge sur la croix”:
“Fertig zur Abreise Henri? Halt fest.”
“Ich bleibe hier, ich fahre nicht. Das bin ich ihnen schuldig.”
“Vielen Dank Henri. Obwohl Sie kein Mediziner sind, werden sie sehr nützlich sein. Luigi, zeigen Sie Monsieur Dunant wie die Arbeit im Lazarett organisiert ist.”
“Si Doctor. Monsieur Dunant, folgen Sie mir bitte. Hier hat der Doktor die verwundeten Franzosen hingelegt und draußen die österreichischen Verwundeten.”
Das beschließt Henri Dunant als erstes zu ändern:
“Luigi, lassen sie die Schwerverletzten in die Kirche bringen, die Leichtverletzten werden draußen versorgt.”
“Alle durcheinander? Aber der Dottore hat gesagt, dass alle französischen Soldaten in die Kirche sollen und die Österreicher nach draußen.”
“Das sind keine Soldaten mehr sondern Kriegsverwundete. Waffenbrüder, verstehen Sie? Tutti fratelli.”
Tutti fratelli – die Feinde von eben, als Verwundete alle Brüder? Eine unglaubliche Vorstellung für die Feldherrn. Und Dunant hatte noch eine Idee: um einen Verwundetentransport aus der Kampfzone zu bringen, ließ er eine weiße Fahne mit einem Kreuz aus Blut bemalen, und unter diesem, von den Militärs schließlich respektierten Zeichen führte er seine Schützlinge in Sicherheit – das Zeichen des Roten Kreuzes war geboren. Dunant schrieb das alles auf, verfasste sein noch heute überaus lesenswertes Buch “Eine Erinnerung an Solferino”. Und er warb europaweit für die Idee einer internationalen zivilen Hilfsorganisation für die Verwundeten der Kriege, am Ende mit Erfolg. Am 22. August 1864 unterzeichneten Bevollmächtigte von elf europäischen Majestäten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft die erste Genfer Konvention, in der es unter anderem heißt:
“Die Feldlazarette sollen als neutral anerkannt und demgemäß von den Kriegführenden geschützt und geachtet werden, solange sich Kranke und Verwundete darin befinden. Die verwundeten oder kranken Militärs sollen ohne Unterschied der Nationalität aufgenommen und verpflegt werden. Eine deutlich erkennbare und übereinstimmende Fahne soll bei den Feldlazaretten und den Verbindeplätzen und Depots aufgesteckt werden. Die Fahne soll ein rotes Kreuz auf weißem Grunde tragen.”
Dieses Symbol trägt die Organisation bis heute. Das Rote Kreuz ist inzwischen eine weltumspannende Großorganisation mit einem Nationalen Komitee in fast jedem Land der Welt. Sanitätsdienst im Krieg ist längst nicht mehr der Hauptauftrag, Hilfe bei Naturkatastrophen wie Erdbeben und Tsunamis, Hilfe für Flüchtlinge gehört heute zu den wichtigsten seiner vielen Aufgaben. Es hat in der Geschichte des Roten Kreuzes auch an Skandalen nicht gefehlt. Die dunkelsten Flecken bekam die Rotkreuzfahne in Deutschland in brauner Zeit, als die SS das Deutsche Rote Kreuz unter seine totale Kontrolle brachte. Und der Schweizer Kaufmann Henri Dunant, mit dem alles anfing, der der Welt die Idee des Roten Kreuzes schenkte? Er hatte seine Firma im Dienst der guten Sache vernachlässigt, ging bankrott, lebte, von aller Welt vergessen, jahrzehntelang im Elend. 1901 wurde Dunant schließlich, gemeinsam mit Frédéric Passy, mit dem ersten Friedensnobelpreis geehrt. Immerhin.
Kalenderblatt, Deutschlandfunk 24.06.2009
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Bildquelle: Deutsches Rotes Kreuz