Von Kostas Kouvelis
Es ist höchst erstaunlich, was ein deutscher Journalist so alles über Griechenland weiß und zu Papier bringt! Oder doch nicht? Schließlich ist Eberhard Rondholz „ein Unsriger“, wie Georgios Tsiakalos anlässlich der Überreichung des „Ehrenrings“, des Kulturpreises der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften am 27. März 2009 in Kiel formulierte (s. Exantas Nr. 10, S. 76, Juni 2009). Er muss es also wissen, der „Manolis“, wie er von seinen Freunden in Griechenland genannt wird! Es ist wirklich atemberaubend was er alles in diesem kleinen Büchlein über das Land, die Leute, die Geschichte, die Kultur, die Hintergründe erzählt! Kein übliches Griechenland-Buch. Ohne Hochglanzbilder, ohne Klischees, ohne Kitsch, aber mit einer derart fundierten Kenntnis, dass man auch als Grieche staunen muss. Woher weiß er das alles? Weil er, sozusagen, als zweiten Wohnsitz die Insel Skópelos hat? Gut möglich. Er ist jedenfalls ein besonders aufmerksamer Zeitgenosse, der alles genau registriert, analysiert, ja, beinahe seziert, um den Inhalt, den Sinn, die Herkunft, die Zusammenhänge zu verstehen.
Das Buch liest sich spannend in einem Guss, fließend geht er von Thema zu Thema, von einer Periode zur nächsten, ohne sich um die Zeitfolge zu kümmern, trotzdem liest sich alles wie selbstverständlich. Dabei ist eine kritische Distanz, manchmal sogar Zynismus, sehr oft ein Witz und fast immer eine Liebe zu dem Objekt seiner Beschreibung, unverkennbar. Und was beschreibt er? Alles! Es bleibt nichts ausgelassen: vom Waffenhändler Sir Basil Zaharoff (Vassílis Zacharópoulos) über die Drohung des casus belli der Türkei, den Befreiungskrieg der Griechen gegen die Türken 1821, den griechischen Bürgerkrieg, die deutsche Besatzung, die Rolle der orthodoxen Kirche, die kleinasiatische Katastrophe, das aktuelle Migranten-Problem, bis zum bayerischen Baumeister Ernst Ziller, zu den stadtentwicklungspolitischen Problemen der Athener Altstadt Plaka, bis zur Analyse der Rebétiko-Musik, aber auch der altgriechischen Etymologie der neugriechischen Wörter neró, krassí, psomí (Wasser, Wein, Brot).
Es fehlt praktisch nichts in diesem Büchlein, was die Geschichte, die Sehnsüchte, die Kämpfe, dieses kleinen Volkes besser zu verstehen hilft. Alles bis auf das kleinste Detail recherchiert und historisch dokumentiert, ist dieses Länderportrait etwas für Leute, die Griechenland wirklich kennen lernen wollen, sich nicht auf einen Ouzo in der Taverne beschränken wollen, obwohl auch dieses Erlebnis erschöpfend problematisiert und analysiert wird.
Eberhard Rondholz ist ein engagierter linker Demokrat ohne Kompromisse, weshalb auch seine Analysen und Beschreibungen Position beziehen. Das hat dieser fleißige Schreiber in unzähligen Beiträgen in dieser Zeitschrift seit ihrer ersten Stunde gezeigt. Umso erfreulicher, dass man nun in kompakter Form sein Griechenland-Bild nachempfinden kann. Und dieses Bild ist unvorstellbar reich; es beschreibt die Literatur des Landes, die Musik, die Hintergründe der Geschehnisse, das alltägliche Leben, das politische Geschäft und die Intrigen und vieles andere mehr mit dem nötigen Abstand des Reporters und zugleich mit einer innigen Verbindung zu all diesen Themen. Nur zwei Dinge fielen mir als nicht ausreichend erwähnt bzw. analysiert auf (vom Fehlen der Insel Kastelóriso auf der Griechenland-Karte zu schweigen): Die Rolle der Westmächte bei der kleinasiatischen Katastrophe im Jahr 1922 wurde nicht angedeutet und die Beschreibung von Aléxis Sorbás beschränkt sich auf die Klischees, die der gleichnamige Film bedient hat, wobei die Handlung im Buch eher als Mantel verstanden wird, um den Widerspruch zwischen Zivilisation und Urbedürfnissen, um Existenzialismus, Einsamkeit und Liebe zu problematisieren. Aber das sind zwei kleine, fast vernachlässigbare Randnotizen zu einem ansonsten grandiosen Buch über dieses schöne Land am ägäischen Meer.
Exantas Heft 14/ Juni 2011
Eberhard Rondholz: Griechenland. Ein Länderporträt. Ch. Links Verlag, Berlin 2011. 200 Seiten, 16,90 Euro.