Eine durch und durch korrupte Politikerkaste und die eigene Perspektivlosigkeit treiben die griechische Jugend in die Revolte.
Regierung der Skandale und skandali« – so titelte nach der Erschießung des 15jährigen Oberschülers Alexandros-Andreas Grigoropoulos durch den Bereitschaftspolizisten Epaminondas Koroneas die Athener Tageszeitung »Eleftherotypia«. Das griechische Wort »skandali« steht für den Abzugshahn einer Schußwaffe, kurz: den Drücker. Daß der Rambo in Uniform, der bei dem tödlichen Schuß die Hand am Drücker hatte, mit Billigung der Regierung gehandelt habe, kann man sicherlich nicht unterstellen. Aber daß die amtierende Regierung verantwortlich ist für den Zustand der griechischen Polizei, das schon, und auch dafür, daß den Beamten die entsicherte Waffe locker sitzt.
Es war ja nicht der einzige polizeiliche Todesschuß in letzter Zeit, doch wenn es sich bei den Opfern um Roma oder illegale Arbeitsimmigranten handelt, schlagen die Wellen nicht ganz so hoch wie nun im Dezember 2008. Ein toter Schüler im Athener Szeneviertel Exarchia, das war etwas anderes, das war die brennende Lunte an einem randvollen Pulverfaß.
Woher die enorme Wut der griechischen Jugend, die nach dem Tod von Alexandros Grigoropoulos im ganzen Land regelrecht explodierte, vom thrakischen Xanthi bis zum westgriechischen Jannina, von Rhodos bis Kreta?
Es waren nicht nur ein paar Athener Anarchisten, die da auf die Straße gingen, die »üblichen Verdächtigen« aus dem »antiautoritären Lager«, wie man die Autonomen aus dem Athener Exarchia-Viertel in Griechenland nennt. Es sind Vertreter der »Generation 600 Euro«, einer Generation ohne Perspektive, Schüler und Studenten, die nach dem Abschluß ihrer Ausbildung in der Mehrheit nur eines erwartet: Arbeitslosigkeit oder ein mies bezahlter Aushilfsjob. Und die nur zu gut wissen, wer für den maroden Zustand der griechischen Schulen und Universitäten die Verantwortung trägt: eine durch und durch korrupte Politikerkaste, die vor allem eines im Sinn hat – sich an den Staatsgeldern zu mästen, vor aller Augen, schamlos und provokativ. Wie jener Verteidigungsminister, der seine Zweitehe opulent in einem der teuersten Hotels von Paris feierte, dann allerdings für die Entlassung eines Fernsehkorrespondenten sorgte, der davon vielleicht etwas zu ausführlich berichtet hatte.
Das geht schon seit Jahrzehnten so und war auch unter der Regierung der sich sozialistisch nennenden Pasok-Partei nicht anders. Doch hat sich die Zahl der einschlägigen Skandale in den letzten Jahren derart gehäuft, daß die Zeitungen in Serie aus dem politischen Sumpf berichten können. Die schlimmste Folge für einen korrupten Minister: ein Rücktritt, allenfalls.
Und während man in den Athener Zeitungen lesen kann, wie deutsche Siemens-Manager wegen Schmiergeldzahlung vor Gericht zitiert, in Untersuchungshaft genommen und verurteilt werden, können in Griechenland die Empfänger der üppigen Summen aus München weiterhin ruhig schlafen. In Athen ermitteln statt der Staatsanwälte parlamentarische Untersuchungsausschüsse gegen verdächtige Minister, bis alles fein verjährt ist. Mit anderen Worten: Die Politiker entscheiden allein, ob einer der Ihren seine Immunität verliert und juristisch zur Rechenschaft gezogen wird. Und das geschieht selbstverständlich nie.
Da spielen Minister mit Mönchen vom heiligen Berg Athos Monopoly, Staatsimmobilien werden zu skandalösen Konditionen verscherbelt, und jetzt versucht ein Untersuchungsausschuß den Weg einiger Geldkoffer nachzuvollziehen, die im Verlauf der Transaktion den Besitzer gewechselt haben. Einen Rücktritt hat es schon gegeben, wie auch im Fall jenes Ministers, der für seinen Villenschwarzbau ausländische Schwarzarbeiter beschäftigte. Aber daß sich ein wegen mutmaßlicher Korruption erpreßter Kulturminister aus dem Fenster fallen läßt, war denn doch eine spektakuläre Ausnahme.
All das sieht eine junge Generation, die vormittags zum Unterricht in marode Schulen geht und nachmittags die sogenannten »frontistiria« besucht, teure Paukanstalten, wo all das gelernt wird, was man zum Abschlußexamen wirklich braucht. Steuern, das wissen sie auch, zahlen nur die Lohnabhängigen und kleinen Gewerbetreibenden. Und das nicht zu knapp, die letzte Steuererhöhung war soeben fällig. Und ein 28-Milliarden-Hilfsprogramm für die notleidenden Geldinstitute. »Kugeln für die Jugend, Zaster für die Banken«, so lautete eine Parole während der Demonstranten-Riots.
Unbegrenzt viel Geld ist auch da, wenn es um die Rüstung geht. Gerade war zu erfahren, daß im kommenden Jahrzehnt wieder mal für 30 Milliarden Euro Kriegsgerät angeschafft werden soll – U-Boote und Jetfighter, Fregatten und Panzer. Griechenland ist einer der besten Kunden der internationalen Waffenhändler. Fast die gesamten EU-Subventionen, die das Land für Agrarentwicklung und Infrastrukturmaßnahmen überwiesen bekommt, fließen so in die Geberländer zurück, das meiste kassieren die Waffenmeister aus Deutschland, von Krauss-Maffei bis Thyssen-Krupp.
Und wofür diese gigantischen Ausgaben? Zur Abschreckung des von den Regierungen stets gern beschworenen türkischen Erbfeindes und seiner territorialen Begehrlichkeiten täten es ein paar Leos weniger an der griechischen Ostgrenze auch. Aber da sind dann die Begehrlichkeiten der mit dem Import von Kriegsgerät befaßten Politiker, von denen die Zeitungen von Zeit zu Zeit berichten. Und daß die in Griechenland größer sind als in so manch anderem Empfängerland, plauderte vor Jahr und Tag ein französischer Rüstungsmanager vor einem Pariser Gericht aus – in Athen erwarte man von den Lieferanten »Gefälligkeiten«, die doppelt so groß seien wie ansonsten üblich. Damals murmelte ein Athener Staatsanwalt etwas von Ermittlungen, das war’s dann aber auch.
Gründe genug also für die wachsende Wut, die sich nach dem Todesschuß in Exarchia nun ungewöhnlich gewalttätig Bahn brach. Und die Polizei? Sie schreitet durchaus nicht immer ein, wenn gerade mal wieder eine Schaufensterscheibe zu Bruch geht, es könnte da ja einer der Ihren in »autonomem« Outfit zugange sein; der Agent provocateur ist eine gewohnte Erscheinung in Athen. Die (»MAT« genannten) Einsatzkommandos der Athener Polizei, berüchtigte Schlägertrupps nach Art der französischen CRS, kennen nur ein Konzept zur Eindämmung von Randale: Einzelpersonen herausgreifen und bis zur Bewußtlosigkeit zusammenknüppeln und -treten, was sie auch in den letzten Wochen selbst vor laufenden Kameras taten.
Und wie weiter? Die Regierung der konservativen Nea Dimokratia hat abgewirtschaftet. Doch wer nach den vielleicht schon bald fälligen vorgezogenen Neuwahlen an die Fleischtöpfe kommt, ist ungewiß, eine Koalitionsregierung diesmal vielleicht. Eine selbständige Mehrheit für Papandreous Pasok gilt als unwahrscheinlich. Und in dieser Situation die Regierungsmacht zu übernehmen würde ja auch nicht länger bedeuten, weiter in Ruhe absahnen zu können. Das ist ein Schwarzer Peter, den man nicht um jeden Preis übernehmen will, dürfte man sich bei den Koalitionskandidaten KKE und Syriza sagen, den Altstalinisten und den Ex-Euro-Kommunisten.
Was wohl bleibt, ist das verbrauchte Personal der alten politischen Klasse. Das Vertrauen der revoltierenden Jugend wird die nicht zurückgewinnen. Höchstens darauf hoffen, daß die Rebellen von Athen demnächst wieder resignieren. Doch das könnte sich als Irrtum herausstellen – der Prozeß gegen den uniformierten Todesschützen, Epaminondas Korkoneas, kommt bestimmt. ?
Konkret 01/2009
Lesen Sie auch in Konkret 6/2008 über die Revolte der illegalen Arbeitsmigranten in Griechenland