Athener Notizen – Die Athener Regierung und die „Katharsis“
Pothen esches, wo hast du’s her? – diese Frage mussten sich im alten Athen, zu Zeiten des weisen Gesetzgebers Solon, reiche Bürger gefallen lassen, deren Reichtum allzu auffällig war. Konnten sie die Herkunft des Wohlstands nicht erklären, drohten die sprichwörtlichen drakonischen Strafen, bis hin zur Todesstrafe soll es gegangen sein. Und heute?
Als die Neuhellenen das Institut des „pothen esches“ wieder einführten (pothen eklepses sagte der Volksmund, wo hast du’s geklaut?), war das von Anfang an eher eine Lachnummer. Konnten doch die Politiker, an die sich die Frage vor allem richtete, einander im einschlägigen Sündenfall in aller Regel im für solche Untersuchungen allein zuständigen Parlament gegenseitig die Absolution erteilen. Das galt bislang z.B. auch für jene Politiker, Verteidigungsminister und andere, die an den über 80 Millionen Euro Schmiergeld ihren Anteil kassiert haben, die nach Erkenntnissen deutscher Staatsanwälte allein im Zusammenhang mit dem Erwerb von vier deutschen U-Booten der 214er-Klasse geflossen sind. Für die Dauer einer Legislaturperiode war Immunität stets gesichert, an ihrem Ende trat Verjährung automatisch ein. Staatsanwälte hatten das Nachsehen, soweit sie überhaupt hinsahen.
Die entsprechenden juristischen Schutzschilde – so das „Gesetz über Ministerverantwortlichkeit“ – haben aber neuerdings, wie es scheint, Löcher bekommen. Wer auch immer dazu den Anstoß gegeben haben mag, griechische Strafverfolger sind vor ein paar Wochen auf einen nahe liegenden Ausweg verfallen: vielleicht inspiriert von jenen US-amerikanischen Kollegen, die einst den Al Capone wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche hinter Gitter schickten, wollen sie jetzt gewissen notorischen Athener Politganoven ähnliche Fallstricke legen. Es können zwar auch weiterhin Straftaten, die Minister oder Vizeminister in Ausübung ihrer Amtspflichten begingen, ausschließlich von zahnlosen bzw. beißgehemmten Parlamentsausschüssen untersucht werden. Aber: da Steuerflucht nicht zur Natur der Ausübung ministerlicher Pflichten gehöre, so hört man auf einmal aus Athener Abgeordnetenkreisen, könne jetzt beispielsweise auch der ehemalige Verteidigungsminister Apostolos-Athanassios („Akis“) Tsochatzopoulos von der ordentlichen Justiz verurteilt werden. Und tatsächlich ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den einst mächtigsten Mann der „sozialistischen“ PASOK einstweilen ausschließlich wegen steuerlicher Delikte. Doch drohen hier, je nach Ausmaß der Steuerhinterziehung, Strafen bis zu zehn Jahren Haft.
U-Haft wegen Spende von Siemens
Vor ihm erwischte es bereits den ehemaligen Verkehrsminister Tassos Mantelis, wegen einer Bagatelle. Um ganze 200 000 DM Wahlkampfgelder geht es da, spendiert vor Jahren von der großzügigen Firma Siemens, die er auf Umwegen der Familienkasse zugeführt haben soll. Geldwäsche lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft, ein Ausreiseverbot wurde verhängt, U-Haft noch nicht.
Dieser Tage beschäftigt nun aber der wesentlich dickere Fall Tsochatzopoulos die Staatsanwaltschaft beim Obergericht Areopag, und die gesamte Presse des Landes wartet genüsslich mit immer neuen Details über die Grundstücksgeschäfte des Mannes auf, der gestern noch eine der mächtigsten politischen Figuren des Landes war. Seine Politkarriere hatte in den Jahren der Militärjunta in München begonnen. Er war dort Statthalter des PASOK-Gründers Andreas Papandreou, stieg nach dem Sturz der Obristen in wenigen Jahren zu einem der großen Parteibosse auf. Er bekleidete mehrere wichtige Ministerämter, u.a. von 1996-2001 einen Regierungsposten, der seit eh und je zu den einträglichsten gehörte: das Verteidigungsressort. Und er hatte keine Scheu, seinen in den Ministerjahren entstandenen märchenhaften Wohlstand auch vor aller Öffentlichkeit zur Schau zu stellen; der Grieche zeigt gern vor, was er hat. Als er im Jahr 2004 zum zweiten Mal heiratete, spendierte er seiner jungen Gattin einen rauschenden Hochzeitsempfang in einem der teuersten Hotels der Welt – dem George V. in Paris. Mit welchem Geld die über ein Dutzend zählenden Immobilien erworben wurden, die er, seine deutsche Ex-Frau Gudrun, seine derzeitige Frau Vicky Stamati und seine Tochter Areti allein im Raum Athen und Attika ihr eigen nennen sollen, wird jetzt aber von der Staatsanwaltschaft beim obersten Gerichtshof Areopag untersucht. Untersucht werden soll auch, um wen es sich bei den diversen Off-Shore-Companies handelt, denen einige dieser Immobilien zuvor gehörten – auf dem Papier. So zum Beispiel die letzte Erwerbung des Clans: ein dreistöckiger klassizistischer Palazzo direkt am Fuß der Akropolis, ein Filetstück, dessen offizieller Kaufpreis mit einer Million Euro ein Superschnäppchen wäre. Folgt man den Angaben der Zeitung Proto Thema, hätte das Gebäude einen tatsächlichen Wert von sechseinhalb Millionen. Die Identität des überseeischen Verkäufers wird derzeit untersucht, untersucht werden auch die Umstände der Transaktion, die nur wenige Tage vor der Verabschiedung eines neuen Steuergesetzes stattgefunden hat, das die Grundsteuer für Immobilien von Off-Shore-Gesellschaften vervielfachen soll. Alles ganz legal, sagt der Ex-Minister und droht mit Verleumdungsklagen.
Ohn’ Anseh’n des Parteibuchs?
Mehr Transparenz zu schaffen, mehr Licht in den Dschungel von Korruption und Vetternwirtschaft der letzten Jahrzehnte zu bringen, kurz: Katharsis, das hat die Regierung von Jorgos Papandreou versprochen, ohn’ Anseh’n des Parteibuchs der verdächtigen Politiker. Käme da am Ende wirklich jemand aus der Papandreou-Partei hinter schwedische Gardinen, könnte das auch zur Zerreißprobe für die PASOK werden. Geht der Schuss aber ins Leere, wird’s zum Problem für den Saubermacher Papandreou – die Parole „die Diebe hinter Gitter“ skandieren Demonstranten seit Monaten, und kommt keiner dieser Polit-Neureichen in den Knast, ist’s mit der Glaubwürdigkeit der Regierung endgültig vorbei. Schließlich hat das große Sparprogramm bislang, außer einer sich abzeichnenden Rezession, vor allem dem kleinen Mann empfindliche Einkommensverluste gebracht, eine Mehrwertsteuererhöhung auf 23 Prozentpunkte und die teuersten Benzinpreise Europas. Die große Geduld der in den letzten Tagen eher zurückhaltend reagierenden kleinen Leute könnte schon bald ein Ende haben.
Kein Ende ist absehbar bei den guten Geschäften der Bundesrepublik mit dem Waffenkäufer Griechenland. „Bis zum letzten Sommer haben wir natürlich auch politisch für deutsche Rüstungsgüter geworben“, bekannte der scheidende deutsche Botschafter in Athen, Wolfgang Schultheiß, letzte Woche in der „Griechenland-Zeitung“ mit entwaffnender Offenheit, fügte aber (wider besseres Wissen?) hinzu: „Damit hat Deutschland aber im letzten Herbst schlagartig aufgehört, als wir festgestellt haben, dass die griechische Regierung kein Geld mehr hat und sparen muss.“ Und, so behauptet Schulheiß weiter: „Die Bundesregierung übt nicht den Hauch eines Druckes aus.“ Als Guido Westerwelle letzten Winter in Athen an das Eurofighter-Kaufversprechen einer früheren griechischen Regierung erinnerte, war der Botschafter wohl grade im Urlaub.
Kriegsgerät zur Verteidigung gegen die Türkei
Nach den spektakulären Milliarden-Deals der ersten Monate des Jahres (vgl. NRhZ v. 17. u. 24. Februar 2010), alle von den Griechen natürlich ganz freiwillig und ohne den Hauch eines Druckes abgeschlossen, geht es seitdem eher um kleinere, aber gleichfalls lukrative Geschäfte. So verscherbelte Deutschland noch kürzlich eine Menge ausgemustertes Kriegsgerät nach Athen – was die Bundeswehr nicht mehr braucht, ist für die Verteidigung der Griechen gegen den NATO-Partner Türkei offenbar immer noch gut genug. Und was die internationalen Sparkurs-Kommissare angeht, wird man noch sehen, wie ernst es ihnen mit dem verordneten austerity-Programm für die Griechen wirklich ist, wenn’s um die Rüstungsgeschäfte geht. Im Fall der Türkei hatten die Kontrolleure vom IWF jedenfalls nicht verhindert, dass während ihrer Anwesenheit am Bosporus nicht nur nicht weniger, sondern eher mehr ausgegeben wurde für schweres Kampfgerät, zur Freude vor allem der Waffenschmiede aus Deutschland. Und an der fürs Rüstungsgeschäft so förderlichen ägäischen Spannungslage hat sich auch mit dem spektakulären Athenbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan nichts geändert. Der seerechtliche „casus belli“ bleibt auch weiterhin unumstößliche außenpolitische Doktrin der Türkei, und ein Eintreten dieses Kriegsfalles unter NATO-Brüdern wäre auch weiterhin für die Nordatlantische Verteidigungsgemeinschaft kein Bündnisfall. Sichere Profite für die Waffenhändler sind so auch in Zukunft garantiert – das Rüstungsgeschäft kennt keine Krise, jedenfalls nicht an den Gestaden der Ägäis.
Nr. 255 NRhZ, 23.06.2010