„In dieser heute so geprüften Region muß der Glaube wieder zu einer einigenden und wohltätigen Kraft werden, wie die Flüsse, die sie durchqueren. Ich denke an den Fluß Save, der in Slowenien entspringt, euer Vaterland durchströmt, weiterfließt entlang der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina, um schließlich, auf serbischer Erde, sich mit der Donau zu vereinigen, (…) so wie (die) Völker aufgerufen sind, sich zu vereinen, und wie vor allem jene zwei Erscheinungsformen des Christentums es tun sollten, die westliche und die östliche, die in diesen Regionen seit je zusammenleben. In dieser Metapher der Flüsse können wir quasi den Pfad vorgezeichnet finden, den in dieser historischen Stunde zu beschreiten Gott euch aufruft.“ Fromme Worte von Papst Johannes Paul II. bei seinem ersten Besuch in Zagreb im September 1994, die den Charakter der Hirten-Visite als Friedensmission unterstreichen sollten. Eines allerdings hatte Karol Wojtyla in seiner Fluß-Metapher zu erwähnen vergessen: das an den Ufern des Flusses Save gelegene, zeitweilig von katholischen Ordensbrüdern geleitete Vemichtungslager Jasenovac, wo im Zeichen des Kreuzes in den Jahren 1941-1945 Hunderttausende Andersgläubige und Anders“rassige“ von Katholiken abgeschlachtet wurden.
Das Schweigen des amtierenden Papstes über dieses düsterste Kapitel der neueren Kirchengeschichte hat Tradition. Schon sein Vorgänger Pius XII. blieb angesichts dieses Völkermords, der zu den größten des Jahrhunderts gehörte, stumm. Kein Wort dazu auch in dem von vatikanischen Hof-Historikern herausgegebenen siebenbändigen „Handbuch der Kirchengeschichte“. Die Seligsprechung des ehemaligen Zagreber Kardinals Alojsije Stepinac durch Papst Johannes Paul II. in Marija Bistrica am 3. Oktober hat allerdings dafür gesorgt, daß das verdrängte und tabulisierte Kapitel Katholizismusgeschichte die Kirche wieder einholt. Denn der selige Alojsije amtierte als Erzbischof von Zagreb just in jenen Jahren, als das klerikal-faschistische Ustascha-Regime des Ante Pavelic den von Hitler und Mussolini gegründeten „Unabhängigen Staat Kroatien“ (NDH) anführte, und er war eine wichtige Stütze dieses Regimes. Im „Handbuch der Kirchengeschichte“ liest man es zwar anders: „Die (kroatische) Regierung kam der katholischen Kirche sehr entgegen, zwang sie jedoch zur Kollaboration und zog sie in die blutigen Auseinandersetzungen der kroatischen Ustaschen mit den serbischen Partisanenverbänden hinein.“
Das Schweigen des Papstes
Doch das ist eine mehr als dreiste Geschichtsklitterung – zum einen ging es bei den Bluttaten der Ustascha nicht um Partisanenbekämpfung. Sie haben diese Taten, nach Beobachtungen des damaligen SS-Gruppenführers Harald Turner „insbesondere an wehrlosen Greisen, Frauen und Kindern in der bestialischsten Weise begangen.“ Auf 300 000 schätzte Turner, der keinen Grund hatte, hier zu übertreiben, schon im Februar 1942 die Zahl der niedergemetzelten und mit den sadistischsten Methoden zu Tode gequälten Serben, und er fügte hinzu, daß „letztlich die katholische Kirche … die Ustascha-Greuel forciert hat.“ Und zur Kollaboration mußte man sie ja auch nicht erst zwingen: die klerikalfaschistische Ustascha war zwar eine Laienbewegung, aber durch vielfältige Personalunion mit der Mutter Kirche verbunden; Ustascha-Mitglieder waren zahlreiche Franziskanermönche und niedere Priester ebenso wie höhere Kleriker, zu ihnen zählte, unter anderen, der nach Erzbischof Stepinac ranghöchste katholische Würdenträger des NDH, Bischof Ivan Saric von Sarajevo. Und auch was sich damals, innerhalb und außerhalb der Vernichtungslager Jasenovac und Loborgrad, Jadovno, Djakovo und Stara Gradiska, in einem wahren Blutrausch austobte, an Juden, Zigeunern und Serben, es war Fleisch vom Fleisch der katholischen Kirche: die Mörder waren in nicht seltenen Fällen ordinierte Priester und Ordensbrüder, vor allem Franziskaner.
Einer der schlimmsten: „Bruder Teufel“ Miroslaw Filipovic-Majstorovic, der zeitweilige Lagerkommandant des größten Vernichtungslagers Jasenovac. Nicht weniger schlimm waren, als „Kanzeltäter“, die katholischen Bischöfe von Sarajevo und Djakovo, die offen zum Judenmord aufriefen. Ivan Saric, der Bischof von Sarajevo, Ustascha-Aktivist seit 1934, tat es, nur wenige Tage nach dem Amtsantritt seines „Führers“, Ante Pavelic, mit diesen Worten: „Die Bewegung zur Befreiung der Welt von den Juden ist eine Bewegung für die Erneuerung der menschlichen Würde“, schrieb er in seinem Bistumsblatt, „hinter dieser Bewegung steht der allmächtige Gott.“ Er schrieb von der „jüdischen Gier“, dem wachsenden Appetit der Juden, den erst die Herrschaft über die ganze Welt befriedigen könne. Unterdessen stillte er den eigenen Appetit und bereicherte sich am Eigentum eines deportierten Juden seiner Heimatstadt Sarajevo. Und was die „Endlösung der Serbenfrage“ in Groß-Kroatien anging, so galt auch für ihn die vom Kultusminister Mile Budak formulierte Ustascha-Maxime: ein Drittel konvertieren, ein Drittel umbringen, ein Drittel vertreiben.
Intention geschriebenen) Arbeit „Das Schweigen des Papstes“ einräumt, die Ausrottung von mindestens einer halben Million Menschen allein in Kroatien, umgebracht „wohl mehr aus Haß gegen ihre Religion als gegen die Rasse,“ in Verbindung „mit einer Kampagne für eine erzwungene abermalige Taufe (vom orthodoxen zum katholischen Glauben), wie es sie, was Anzahl und Gewalttätigkeiten betrifft, seit Jahrhunderten nicht gegeben hat.“ All das geschah, so Carlo Falconi, ohne daß der kroatische katholische Episkopat die Pflicht gefühlt hätte, zu reagieren und im besonderen die(se) Verbrechen zu verdammen – nämlich die an der orthodoxen Schwesterkirche begangenen. Das betrifft auch den Erzbischof von Zagreb. Er nahm seine Schäflein sogar in Schutz, als der französische Kurienkardinal Eugene Tisserant (als einziger im Vatikan, soweit man weiß) die Mitwirkung der Franziskaner beim Töten in Kroatien rügte. Da sagte Alojsije Stepinac: es seien schließlich Serben und Juden gewesen, die im alten Jugoslawien die Abtreibungen durchgeführt und pornographische Schriften herausgegeben hätten.
Machterhalt vor Menschlichkeit
Es ist wahr, derselbe Stepinac hat gegen die Greuel der Ustascha protestiert, nachdem sie internationale Empörung hervorgerufen hatten. Doch zuvor hatte er dem Faschistenregime des Ante Pavelic wiederholt seinen öffentlichen Segen erteilt, unmittelbar nach dessen von Hitler und Mussolini ermöglichten Machtantritt öffentlich die Loyalität und Gefolgschaftstreue der Kirche und ihrer Glieder versichert. Er hat mit einem pompösen Tedeum einem Regime die höheren Weihen der Kirche verliehen, das mit seinen vebrecherischen Absichten von Anfang an nicht hinterm Berg gehalten hatte. Stepinac ist dann immer wieder gemeinsam mit dem UstaschaFührer Pavelic demonstrativ öffentlich aufgetreten. Damit war für die Gläubigen klar: dies ist ein der Mutter Kirche wohlgefälliger Staat. Stepinac blieb nach dem Ende des NDH und dem Machtantritt der Kommunisten zunächst unbehelligt. Erst 1946 wurde ihm unter Tito der Prozeß gemacht, er wurde als Kollaborateur der Ustascha-Faschisten zu 16 Jahren Haft verurteilt und gilt seitdem als Märtyrer der katholischen Kirche. Doch die Bedingungen des Freiheitsentzugs waren vergleichsweise komfortabel, es handelte sich die meiste Zeit um Hausarrest, und sein „Martyrium“ um einiges luxuriöser als das seines orthodoxen Amtskollegen, des Patriarchen Gavrilo von Belgrad, der aufgrund seiner konsequenten patriotischen Haltung ins Konzentrationslager Dachau verschleppt wurde, oder das des 75jährigen orthodoxen Bischofs von Sarajevo, Petar Simonic, den seine katholischen Mitchristen 1941 in ein Vernichtungslager (wahrscheinlich Jasenovac) deportiert und dort umgebracht haben, während sein katholischer Kollege gerade eine Ode an Ante Pavelic schrieb.
Die katholische Kirche hat zur Rechtfertigung der Seligsprechung des Kardinals darauf verwiesen, er habe doch zahlreiche Juden vor der Deportation in die Vernichtungslager bewahrt. Das stimmt, nur: es waren zum Katholizmus konvertierte Juden. Und eine Chuzpe muß man es nennen, wenn jetzt die katholische Kirche deshalb in Yad Vashem um einen Persilschein nachsuchte für ihren toten Kardinal, um die Aufnahme in den Kreis der „Gerechten unter den Völkern“ bat – ohne Erfolg, versteht sich. Den Persilschein holte sich die Kirche dann im letzten Moment bei der Vertretung der wenigen Juden Kroatiens, die der katholische Massenmord übriggelassen hatte – die sprach sich, wie kroatische Zeitungen berichtet haben, für die Seligsprechung des Kardinals aus. Doch muß man den kroatischen Juden ihre prekäre Lage zugute halten: sie leben in einem Staat, dessen autoritär regierender Präsident sich öffentlich als Antisemit bekannt hat, in einem Staat noch dazu, in dessen katholischen Kirchen schon wieder Seelenmessen für den Judenmörder Pavelic gelesen werden. Wenn es zur Seligsprechung genügt, daß einer sich verdient gemacht hat um die Mehrung der Macht der Mutter Kirche, um den Kampf gegen „Häresie“ und „Schisma“ (und nicht umsonst ist in Sachen Stepinac kirchlicherseits immer wieder das militärische Wort „Bollwerk“ gefallen), wenn es reicht, daß er sich dabei nichts hat zuschulden kommen lassen, was strafrechtlich relevant gewesen wäre, daß kein Blut an seinen Händen klebte – dann hat er die postume Ehrung verdient. Es wäre hier allerdings die Frage nach dem wahren kirchenpolitischen Sinn und Zweck der Seligsprechung zu stellen, und da geht es um das Selbstverständnis, um die ethischen Fundamente einer Kirche, deren Hierarchie im Zweifelsfalle Machterhalt noch immer vor Menschlichkeit ging.
Die „schismatische“ Ostkirche
Noch vor vier Jahren hatte Johannes Paul II. bei seinem ersten Besuch in Zagreb im September 1994 die orthodoxen Christen versöhnlich als „nostri fratelli del oriente christiano“ tituliert, doch die ostkirchlichen Brüder reagierten zurückhaltend auf das Liebeswerben aus Rom. Die Seligsprechung des Kardinals Stepinac, der zwar nicht für den Klerikal-Faschismus der Ustascha, wohl aber für einen extremen kroatischen Nationalismus stand, scheint ihnen jetzt nachträglich Recht zu geben. Sie stellt ja nicht nur eine Provokation für die überlebenden Opfer des von ihm mit getragenen Pavelic-Regimes dar. Sie setzt auch ein politisches Signal – sie bedeutet die Rückkehr zu jener jahrhundertealten Politik der offenen Konfrontation mit den orthodoxon „Schismatikern“, in der Kroatien die Rolle der „antimuralis christianitatis“ zugewiesen war, des Bollwerks der „Rechtgläubigkeit“ gegen die „schismatische“ Ostkirche. Und sie fällt jenen demokratischen Kräften im neu gegründeten kroatischen Staat in den Rücken, die dem Ultra-Nationalismus des Tudjman-Regimes eine Politik der Aussöhnung auf dem Balkan entgegensetzen möchten und dabei auf Unterstützung von außen angewiesen sind. Aus Rom kommt diese Unterstützung jedenfalls nicht. Im Gegenteil.