Griechenland, 1821-2011

Ein bibliographischer Streifzug

Es ist noch nicht allzulange her, da musste man (so man nicht des Neugriechischen mächtig war) in der Hauptsache auf englischsprachige Literatur zurückgreifen, wenn man sich über die Geschichte Neugriechenlands informieren wollte. Das 1949 bei Bouvier in Bonn erschienene Bändchen von Hans Hallmann Neugriechenlands Geschichte 1820-1948 war über viele Jahre die einzige einschlägige deutschsprachige Veröffentlichung. Das hatte noch 1984 auch Heinz A. Richter bei der Erstellung seiner voluminösen Bibliographie zur griechischen Zeitgeschichte mit Bedauern feststellen müssen (Griechenland und Zypern seit 1920, Heilbronn 1984).

Inzwischen ist da doch einiges hinzugekommen, dieser Tage warf ich einen Blick in meinen Bücherschrank und stellte fest, dass mittlerweile eine Menge Literatur in deutscher Sprache zu haben ist (auch wenn vieles davon nicht mehr im Sortimentsbuchhandel angeboten wird, aber es gibt ja das internet und die Universitätsbibliotheken).

Es war vor allem der Militärputsch von 1967, der das allgemeine Interesse an Politik und Geschichte Griechenlands weckte, nicht nur an der Vorgeschichte des Staatsstreichs, auch wenn Publikationen zu diesem Thema den Anfang machten. Über die Machtergreifung der Obristen am 21. April 1967 informierte schon bald eine ganze Menge deutschsprachiger Publikationen, der Informationsbedarf war groß, hier die wichtigsten Titel:

Zum ersten Jahrestag des Putsches erschien im Bonner Verlag Studentenschaft die von Eberhard Rondholz zusammengestellte Dokumentensammlung Griechenland. 21. April 1967. Ebenfalls im Frühjahr 1968 erschien bei Kiepenheuer & Witsch aus der Feder des WDR-Redakteurs Ansgar Skriver das Buch Soldaten gegen Demokraten. Militärdiktatur in Griechenland, sowie, in der Reihe rororo aktuell, die deutsche Übersetzung des in New York erschienenen Titels The Death of a Democracy. Greece and the American Conscience von Stephen Rousseas, deutscher Titel Militärputsch in Griechenland, oder Im Hintergrund der CIA. Seine Erlebnisse anlässlich des Militärputsches in Athen, der den Bonner Korrespondenten Athener Zeitungen in Athen überraschte, schildert Basil Mathiopoulos in dem Buch Athen brennt. Der 21. April 1967 in Griechenland. Es folgte 1969 Jean Meynauds Bericht über die Abschaffung der Demokratie in Griechenland vorgelegt 1969 vom Berliner Wagenbach-Verlag (ergänzt durch eine Analyse der griechischen Klassenstruktur von C.T.Aris). Ebenfalls 1969 erschien in der edition suhrkamp der Sammelband Die verhinderte Demokratie: Modell Griechenland, herausgegeben von Marios Nikolinakos und Kostas Nikolaou, enthaltend u.a. ein Brevier griechischer Résistancegeschichte aus der Feder des heutigen griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias. Vollständig ist diese Sammlung deutschsprachiger Titel zu Geschichte und Vorgeschichte der Diktatur der Obristen wohlgemerkt nicht.

Was die Geschichte Neugriechenlands insgesamt angeht, so war es der Kölner Romiosini-Verlag, der als erster hier eine Lücke schloss, mit der Vorlage des Bandes Griechische Geschichte von 1204 bis heute von Apostolos Vakalopulos in deutscher Sprache im Jahr 1985 (Vakalopulos datiert den Beginn der neügriechischen Geschichte, worüber sich streiten ließe, mit dem vierten Kreuzug). 1993 erschien bei Francke (Tübingen/Basel) das Taschenbuch Neugriechische Geschichte. Eine Einführung, von Pavlos Tzermias, inzwischen in der 3. Auflage. Aus dem Englischen übersetzt erschien, wiederum bei Romiosini, 1997 die Geschichte Griechenlands im 19. Und 20. Jahrhundert: ein Abriss, von Richard Clogg. Wesentlich ausführlicher wird Heinz A. Richter mit dem groß angelegten Geschichtswerk „Griechenland im 20. Jahrhundert“, erschienen ist bisher Band 1, Megali Idea -Republik – Diktatur. 1900-1940, wiederum bei Romiosini.

Die Neuerscheinung Meilensteine deutsch-griechischer Beziehungen, hrsg. von Wolfgang Schultheiß und Evangelos Chrysos, fasst auf 380 Seiten die Referate eines gleichnamigen Athener Symposions vom April 2010 zusammen (vom frühen 19. Jahrhundert bis in unsere Tage). Hier besonders zur Lektüre empfohlen das Referat von Sigrid Skarpelis-Sperk: Griechenland und Deutschland. 40 Jahre persönliche und politische Erfahrungen. Diese Erfahrungen hat die langjährige SPD-Abgeordnete u.a. als AStA-Referentin an der Universität München gesammelt, aber vor allem als langjähriges Mitglied des SPD-Parteivorstandes.

Um den griechischen Bürgerkrieg und seine Vorgeschichte kreisen zwei Dissertationen, aus je unterschiedlicher Sicht. Zum einen die 620 Seiten starke Arbeit von Heinz A. Richter Griechenland zwischen Revolution und Konterrevolution (1936-1946), Heidelberg 1973, und die 400-Seiten dicke Studie von Matthias Esche Die Kommunistische Partei Griechenlands 1941-1949 ((München-Wien 1982), wobei die erstere besonders die fatale Rolle Winston Churchills bei der Eskalation des bewaffneten Konflikts zwischen Kommunisten und der nationalistischen Rechten betont, während Esche besonders die internen Konflikte innerhalb des linken Lagers untersucht.

Um die Zeit der NS-Besatzung in Griechenland haben sich die deutschen Universitäten jahrzehntelang gedrückt, deutsche Geschichtsstudenten erfuhren so gut wie nichts über die Wehrmachtsverbrechen auf dem Balkan, Dissertationen zum Thema wurden nicht vergeben. Was es zu lesen gab über diesen Zeitraum der neugriechischen Geschichte, war fast ausschließlich Täterliteratur – vom Landserheft bis hin zu heroisierenden, verlogenen Divisionsgeschichten, die dem Andenken der „Heldentaten“ der Waffen-SS oder der Gebirgsjäger gewidmet waren. Beispiele: Hurra, die Gams! Ein Gedenkbuch für die Soldaten der 5. Gebirgsdivision, von Julius Ringel, oder: Weg und Kampf der 1. Gebirgsdivision 1935-1945, von Roland Kaltenegger. Was diese (in der Bundeswehr noch heute hoch verehrten) Gebirgsjäger in Griechenland an scheußlichen Kriegsverbrechen verübt haben, steht bei diesem Kaltenegger selbstverständlich nicht, da muss man schon zu einem anderen Titel greifen: Blutiges Edelweiß. Die 1. Gebirgsdivision im Zweiten Weltkrieg. Erschienen ist diese Monographie über die neben der Waffen-SS schlimmste Truppe, die in Griechenland gewütet hat, 2008 im Chr. Links Verlag Berlin, geschrieben hat sie der 2009 bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommene Hermann-Frank Meyer. Von ihm gibt es noch eine Reihe weiterer Publikationen zur deutschen Okkupationsgeschichte in Griechenland, u.a.: Kommeno. Erzählende Rekonstruktion eines Wehrmachtsverbrechens in Griechenland, erschienen bei Romiosini, Köln 1999.

Über die Jahre der NS-Okkupation in Griechenland insgesamt liegt mittlerweile eine Menge Literatur vor, den Anfang gemacht bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Besatzungsjahre hat Hagen Fleischer mit seiner im WS 1977/78 an der FU Berlin angenommenen Dissertation, die 1986 unter dem Titel Im Kreuzschatten der Mächte. Griechenland 1941-1944 im Verlag Peter Lang erschienen ist. Bis heute das, was man ein Standardwerk nennt. Die Zahl der seither in der Nachfolge dieser Arbeit vom Autor vorgelegten Einzelbeiträge ist beträchtlich, angefangen vom Problem der griechischen Kollaboration bis hin zu der neuerlich wieder höchst aktuellen Frage der deutschen Kriegsschulden an Griechenland. Gemeinsam mit Loukia Droulia hat er den Sammelband Von Lidice bis Kalavryta. Widerstand und Besatzungsterror herausgegeben, der die wichtigsten Beiträge eines internationalen Athener Symposiums über Widerstand und Repressalie im Zweiten Weltkrieg enthält, darunter Referate von Dietrich Eichholtz,Manfred Messerschmidt, Walter Manoschek und Enzo Collotti. Einem Spezialaspekt der Aufarbeitung der deutschen Okkupationsgeschichte in Griechenland, der Frage des Umgangs der deutschen Justiz mit den Verbrechen dieser Zeit, ist der letzte Beitrag des Sammelbandes gewidmet – Rechtsfindung oder Täterschutz? Die deutschen Justiz und die „Bewältigung“ des Besatzungsterrors in Griechenland, von Eberhard Rondholz. Conclusio des Autors: ein rechtspolitischer Skandal.

Wer sich eingehender mit der rechtlichen Seite der deutschen Besatzungsverbrechen beschäftigen möchte, für den ist die 2009 in der Reihe Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte erschienene, 650 Seiten starke Dissertation von Anestis Nessou ein Muss. Sie trägt den Titel Griechenland 1941-1944. Deutsche Besatzungspolitik und Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung – eine Beurteilung nach dem Völkerrecht. Stellvertretend für all die anderen Gewaltmaßnahmen der Wehrmacht und der ihr disziplinarisch unterstellten Waffen-SS in Griechenland untersucht Nessou die besonders grausamen Fälle von Kommeno, Kalavryta, Klissoura und Distomo, beschreibt den jeweiligen Tathergang und stellt die gefälschten Gefechtsberichte daneben. Es folgt die Beurteilung der sogenannten Sühnemaßnahmen nach dem Völkerrecht. Sodann widmet er sich der Frage der je unterschiedlichen juristischen Aufarbeitung der Kriegsverbrechen durch die alliierte, die bundesrepublikanische und die DDR-Justiz. Was die einschlägige „Rechtsfindung“ in der BRD angeht, so kommt Nessou nach der Lektüre der Akten in einem besonders krassen Fall zu dieser Wertung: „Die Einstellungsverfügung des Ermittlungsverfahrens 117 Js 5-33/69 offenbart ein Desinteresse an der Durchsetzung des Rechts, das als Angriff auf den Rechtsstaat aus seinem Inneren heraus verstanden werden kann.“ Und dieses Fazit darf als seine Wertung des juristischen Umgangs mit den deutschen Kriegsverbrechen insgesamt verstanden werden.

Einer besonderen deutschen „Hinterlassenschaft“ der Besatzungszeit hat sich Kerstin Muth in ihrem 2008 im Leipziger Eudora-Verlag erschienen Band Die Wehrmacht in Griechenland – und ihre Kindergewidmet, ein (nicht nur in Griechenland) lange verdrängtes Kapitel.

Eine verdienstvolle Neuerscheinung ist am Schluss zu erwähnent: wer sich für die Geschichte der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki interessiert (und jeder Deutsche sollte das tun), der kann darüber einiges lesen in dem jetzt vom Romiosini-Verlag in deutscher Sprache vorgelegten Bändchen Jüdische Orte in Thessaloniki. Ein historischer Rundgang, verfasst von Rena Molho und Vilma Hastaoglou-Martinidis. Enthalten ist darin, neben einem Blick auf zweieinhalb Jahrtausende Geschichte jüdischer Präsenz in Mazedonien bis zum Holocaust, ein Führer zu jüdischen Baudenkmälern in der nordgriechischen Hafenmetropole nebst einem höchst nützlichen Stadtplan. Das Buch schließt eine Lücke, es sei jedem Besucher Thessalonikis dringend empfohlen.

Dieser bibliographischer Streifzug ergänzt die in dem Buch „Griechenland. Ein Länderporträt“ enthaltenen Leseempfehlungen, die aus Platzgründen etwas zu kurz ausgefallen sind. Das Griechenland-Buch ist erschienen im Ch.Links Verlag 2011, hat 200 Seiten und kostet 16,90 Euro. (ISBN-10: 3861536307)

Ein Länderportrait.pdf