Herren des Morgenrots

Worauf basiert der Erfolg der griechischen Nazi-Partei »Goldene Morgenröte«?

Uniformierte Schlägertrupps der faschistischen Partei Chrysi Avgi (»Goldene Morgenröte«), die auf offener Straße, ungehindert oder gar unterstützt von der Polizei, Immigranten halb- oder ganz totschlagen, können nicht nur bei den Organen der Staatsgewalt auf ein hohes Sympathisantenpotential bauen. Ihre Zustimmungswerte sind bei Umfragen bis Mitte August auf über 15 Prozent gestiegen, in der Regierungspartei wird nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand über einen Schulterschluß mit der neuen politischen Kraft jenseits des eigenen ultrarechten Randes gesprochen, sollte es bei Neuwahlen zu einer Mehrheit mit der von Schwindsucht befallenen Pasok-Partei nicht mehr reichen. Bei Nea Dimokratia gibt es heftige Auseinandersetzungen über den Umgang mit den Faschisten. Während der alte rechtsliberale Flügel um Dora Bakojanni und Kyriakos Mitsotakis eine scharfe Abgrenzung von den faschistischen Haßpredigern fordert, setzt man im Umfeld des Regierungschefs auf einen sanften Umgang – es gelte, die rassistisch und nationalistisch gestimmten ehemaligen Wähler der eigenen Partei zurückzugewinnen oder aber notfalls mit einer in Zukunft seriöser auftretenden »Goldenen Morgenröte« zu koalieren.
Das war gestern. Nach der Ermordung des populären Rappers Pavlos Fyssas durch einen Messerstecher der Chrysi Avgi am 17. September in Piräus, Bezirk Keratsini, geht das so nicht mehr, das Image des Regierungschefs Antonis Samaras als seriöser Krisenmanager hat gelitten. Am Morgen des 29. September läßt die Staatsanwaltschaft den »Führer« der Chrysi Avgi, Nikos Michaloliakos, in Handschellen abführen, das Fernsehen ist dabei, Festnahmen weiterer Abgeordneter der Partei folgen. Eine Besonderheit des griechischen Rechts macht das möglich, ohne daß eine Aufhebung der parlamentarischen Immunität erforderlich wäre. Die faschistischen Abgeordneten werden bis auf den »Führer« (griechisch archigos, so läßt er sich auch von seiner Frau anreden) zunächst auf Kaution wieder freigelassen.
Ermittlungsakten, die schon begonnen hatten, Staub anzusetzen, werden hervorgekramt, manche Jahrzehnte alt. Es geht um Mord und Totschlag, Bombenanschläge, schwere Körperverletzung und andere Straftaten. Eine stattliche Liste an Delikten, die für eine Anklage wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung schon lange gereicht hätte. Jetzt ist es soweit, jetzt werden abgehörte Telefongespräche abgeschrieben, auffällig schnell legt die Regierung ein umfangreiches Dossier vor. Was davon gerichtsverwertbar ist, wird man sehen.
Wer ist diese Chrysi Avgi, die in Griechenland seit Jahren unbehelligt ihre kriminelle Energie entfaltet? Der Gründer der Partei, Nikos Michaloliakos, hat eine lupenreine Faschistenkarriere. Mit 16 Mitglied der Partei des Altfaschisten Kostas Plevris (die sich, nach dem Machtergreifungsdatum des Diktators Metaxas im Jahr 1936, »Partei des 4. August« nennt); 1984 Führer der Jugendorganisation der von Ex-Diktator Papadopoulos aus dem Gefängnis heraus gegründeten rechtsradikalen Nationalpolitischen Union (EPEN); 1985 Gründer einer eigenen Partei, der »Volksnationalen Bewegung Goldene Morgenröte«, die erfolglos dahindümpelt, mit Wahlergebnissen unter einem Prozent. Erst 27 Jahre später der erste plötzliche Erfolg: Die Partei geht bei den infolge der von Europa diktierten Austeritätspolitik verelendeten Massen erfolgreich auf Stimmenfang: Im Mai 2012 gewinnt sie sieben Prozent der Stimmen, mit 20 Parteigenossen und mit dem Hitlergruß zieht Michaloliakos ins Parlament ein, bei Neuwahlen im Juni sind es immer noch über 400.000 Wähler und 18 Abgeordnete. Zur gleichen Zeit beginnen ihre schwarz gekleideten Banden, ganze Stadtviertel zu kontrollieren, verprügeln Kommunisten und Gewerkschafter, machen Jagd auf Ausländer, gehen in den Schulen auf Mitgliederfang.
Ihre zum Teil bei den Fallschirmjägern und anderen Teilen der Armee im Nahkampf ausgebildeten Schlägertruppen nennen sie, in Anlehnung an ein bekanntes Vorbild, Sturmabteilungen. Da lernt man auch, so berichten jetzt Aussteiger offen in den Medien, wie man einen Herzstich richtig setzt, und dem Mörder von Pavlos Fyssas hat ein Arzt nach der Obduktion des Opfers ja eine sehr professionelle Arbeit bescheinigt.
Schwer zu erklären ist, auf den ersten Blick, der Aufstieg des Faschisten Nikos Michaloliakos in einem Land mit einer solchen Okkupationsgeschichte, in einem Land ohne faschistische Tradition. Anders als in den meisten Ländern Europas, wo in den dreißiger Jahren der Faschismus eine Massenbasis hatte, gab es in Griechenland nichts Vergleichbares. Die vom König installierte Metaxas-Diktatur von 1936 konnte kaum Anhänger gewinnen, Faschismus blieb eine Randerscheinung. Und auch die Putsch-Obristen des 21. April 1967 verdankten ihre Macht bekanntlich keiner Bewegung von unten.
Jetzt aber gibt es eine Basis für eine solche Bewegung, und die wird auch für die rechtskonservative Nea Dimokratia zum Problem. Deren Chef, Antonis Samaras, ist selbst ein Politiker mit ultrarechter Vergangenheit – er stürzte 1992 die gemäßigt rechte Regierung von Konstantin Mitsotakis, der ihm zu milde im Namensstreit mit der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien war. Und stürzte sich damit selbst für eine Weile ins politische Abseits; seine neu gegründete nationalistische Partei »Politischer Frühling« fiel ins Leere. Nach der reumütigen Rückkehr zur Nea Dimokratia griff er dort (und später im Land) erfolgreich nach der Macht. Zunächst mit populistischen Parolen: gegen Europa und die Politik der Troika. Heute ist er ihr williger Vollstrecker. Und das will er bleiben, um jeden Preis.
Samaras spielt ein gefährliches Spiel. Lange hat er dem Treiben der Faschisten tatenlos zugesehen und versucht, jede Konfrontation mit ihnen zu vermeiden. Und er sah auch zu, wie die Chrysi Avgi bei der Polizei Sympathisanten und Mitglieder gewann. Berüchtigt ist etwa das Revier von Agios Panteleimonos, das unter der langjährigen Leitung des inzwischen verhafteten Thanassis Sk. (die letzten drei Jahre stellvertretender Kripo-Chef von Athen) zu einer Hochburg der Chrysi Avgi geworden war und gleichzeitig feste Beziehungen zur Athener Unterwelt aufgebaut hatte. Polizisten aus dem Revier bedrohten ausländische Kleinhändler, wenn sie sich über gewalttätige Erpressung oder Mißhandlungen durch die Morgenrot-Leute beschweren wollten. Andererseits gab es, bei entsprechender Bezahlung, gefälschte Papiere und Aufenthaltsgenehmigungen. Drogen- und Waffenhandel kamen hinzu. In der Wohnung des ehemaligen Revierchefs wurden größere Mengen Cannabis, nicht deklarierte Waffen und größere Mengen Bargeld gefunden.
Auf Revierchefs wie diesen konnte sich die »Morgenröte« stets ebenso verlassen wie auf die griechische Justiz. Ein Gesetz, das ein Parteienverbot nach deutschem Muster möglich machen würde, gibt es in Griechenland zwar bis heute nicht. Aber es hätte eines solchen Gesetzes gar nicht bedurft, um gegen die Partei juristisch vorzugehen – nicht nur bei offenen Gewalttaten der schwarz uniformierten Banden, sondern auch angesichts der Hetzrethorik des parlamentarischen Flügels der Partei. So hätten die Verlautbarungen von Michaloliakos in der Zeitschrift seiner Partei, darunter offene Bekenntnisse zu den Prinzipien des Nationalsozialismus, eine Anklage nach dem Gesetz 927 aus dem Jahr 1979 (eine Kopie des deutschen Volksverhetzungsparagraphen 130 StGB) möglich gemacht, wenn nicht sogar zur Folge haben müssen. Doch was die griechische Justiz von diesem Paragraphen hält, das hat sie bereits 2009 im Fall des bekennenden Faschisten Kostas Plevris gezeigt: Von der griechischen Jüdischen Gemeinde als Autor der 1.000-Seiten- Hetzschrift Juden – die ganze Wahrheit angezeigt, wurde er in letzter Instanz freigesprochen und darf so weiterhin unbehelligt Adolf Hitler einen großen Politiker des 20. Jahrhunderts nennen, dem nur ein historischer Fehler anzulasten sei: daß er Europa nicht gründlicher von den Juden gesäubert habe (s. KONKRET 6/09). Dies war das erste und letzte Mal, daß das Gesetz 927 überhaupt zur Anwendung kam; es wurde auch gegen die Neofaschisten der Chrysi Avgi konsequent nicht angewandt, obwohl es Anlaß genug dafür gegeben hätte.
Auch in vielen Massenmedien fanden die Herren der »Morgenröte« ein ihnen wohlgesonnenes Umfeld. So kamen die Faschisten in den überwiegend von Griechenlands Reeder-Oligarchen und Großbauunternehmen kontrollierten Fernsehanstalten häufig zu Wort, durften für ihre Sache werben, auch die Gattin des Chrysi- Avgi-Chefs, Eleni Zaroulia, konnte dort ihr vorbildliches Familienleben ausbreiten.
Nicht alle Wähler der Chrysi Avgi haben sich auch zu ihrer Ideologie und Programmatik bekehrt – die meisten sind das, was man Protestwähler nennt; es ist das Massenelend, das den Faschisten die 400.000 Wähler/innen in die Arme trieb. Sie haben der Partei ihre Stimme nicht ihres faschistischen Programms wegen gegeben, sagen Analysten, aber es stört sie auch nicht. Warum sollte es auch – wenn die Hetzparolen selbst Griechenlands Justiz nicht stören? Der Freispruch für den Vordenker der griechischen Faschisten, Kostas Plevris, hat sie schließlich bis weit in bürgerliche Kreise hinein salonfähig gemacht.
Salonfähig machen wollte Antonis Samaras, so scheint es, seine potentiellen Bündnispartner von der »Goldenen Morgenröte« auch auf europäischem Parkett. So delegierte er Eleni Zaroulia, gegen den heftigen Protest aus den Reihen des Koalitionspartners Pasok, in die Parlamentarische Versammlung des Europarats. Einer der Arbeitsschwerpunkte dieses Gremiums: die Menschenrechte – hier wird, unter anderem, der europäische Menschenrechtskommissar gewählt. Und Frau Zaroulia (Spitzname in der Partei: »Unsere Eva Braun«), für die Ausländer grundsätzlich »Untermenschen« sind, wurde dort überdies Mitglied im »Komitee für Gleichheit und Nichtdiskriminierung«. Das ist mehr als nur ein schlechter Witz, über den ihre Abgeordnetenkollegen in Straßburg jedenfalls nicht lachen konnten. Vor allem der amtierende Menschenrechtskommissar Nils Muiznicks nicht, der nach einem Besuch in Griechenland im Juli 2013 ein Verbot der Chrysi Avgi forderte, unter Hinweis auf Artikel 4 der Internationalen Konvention für die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung. Muisnicks erinnerte auch an die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach Staaten unter bestimmten Bedingungen Restriktionen gegen politische Parteien verhängen können. Damit stieß er damals noch ebenso auf taube Ohren wie mit der Forderung, gegen einzelne Mitglieder der Partei wegen Volksverhetzung und rassistischer Gewalttaten vorzugehen.
Meinungsumfragen deuten Anfang Oktober darauf hin, daß die »Goldene Morgenröte« nach dem Mord an Pavlos Fyssas ein wenig an Sympathien verliert – ihr Wählerpotential könnte sich auf den Stand der Wahlergebnisse von 2012 reduzieren. Das wäre noch immer schlimm genug. Auch dürfte der von den Faschisten unterwanderte Polizeiapparat so leicht nicht mehr unter Kontrolle zu bringen sein; mit der Entlassung von ein paar Reviervorstehern ist es nicht getan. Und die reichlich mit Geld (durch staatliche Parteifinanzierung, aber auch aus Spenden der Wirtschaft) ausgestatteten paramilitärischen Banden des Nikos Michaloliakos werden ihrerseits nach einer eventuellen Verurteilung des Führers und seiner Unterführer oder gar nach einer Auflösung der Partei nicht gleich ihre Totschläger und Stilette abgegeben. Wenn die Regierungspartei Nea Dimokratia jetzt auf die »Repatriierung« der an die Faschisten verlorenen rechten Wähler/innen setzt, dürfte die Rechnung kaum aufgehen, denn ein Ende der von der Regierung Samaras exekutierten brutalen europäischen Austeritätspolitik ist nicht in Sicht. Das Massenelend im Land wird eher noch wachsen, und das ist der Nährboden, auf dem der neue griechische Faschismus gedeiht.

KONKRET 11/2013, 16.10.2013