Antisemitismus in Griechenland
Der Fall Plevris
Der als sogenannter „Holocaust-Leugner“ sattsam bekannt gewordene Skandalbischof Williamson genießt, nach seiner Ausweisung aus Argentinien, bis auf weiteres in Großbritannien klösterliches Asyl, auch wenn seine Pius-Brüder vorsichtig auf Distanz gehen zu ihrem Konfrater, aus optischen Gründen. Große Reisen unternehmen kann der berüchtigte Christenmensch allerdings nicht mehr, jedenfalls nicht im halbwegs zivilisierten Kontinental-Europa, wo, was er in Sachen Judenvernichtung von sich gegeben hat, im Regelfall strafrechtliche Konsequenzen hat. Da schützt auch die Kutte nicht vor dem Knast. Doch es gibt eine Ausnahme von der Regel – einem Sonnenurlaub, vielleicht auch einem Daueraufenthalt in Griechenland steht dem Pius-Bruder seit dem 27. März 2009 nichts mehr im Wege: Im Gegenteil – dort könnte er einmal so richtig die antisemitische Sau rauslassen, wenn es ihn danach gelüstete. Er könnte dort nicht nur die Ermordung von sechs Millionen Juden in den Konzentrationslagern der Nazis in Abrede stellen, um solche Kleinigkeiten hat sich in Griechenland noch nie ein Staatsanwalt gekümmert. Aber er könnte, z.B., auch folgendes von sich geben, in Wort und Schrift, und mit höchstrichterlichem Segen:
„Der Nationalsozialismus, der die jüdischen Pläne gut kannte, beschloss, die Juden aus Europa zu werfen. Und er hat nach meiner Meinung gut daran getan. Die Befreiung Europas von den Juden war erforderlich, weil das Judentum eine Bedrohung für die Freiheit der Völker ist.“ Oder so etwas: „Hitler wurde für etwas verurteilt, was gar nicht stattgefunden hat. Die Geschichte der Menschheit wir ihn eines Tages dafür verurteilen, dass er Europa nicht von den Juden befreit hat, obwohl er es hätte tun können.“ Über das Mordgas aus dem Hause IG Farben dürfte er sagen: „Zyklon B war nichts weiter als ein Giftgas zur Insektenvernichtung in den Konzentrationslagern. Alles andere sind Propagandalügen.“ Auch so etwas könnte er straflos sagen:„Jude und Mensch sind gegensätzliche Begriffe, d.h.: der eine schließt den anderen aus.“ Er dürfte die Juden ausdrücklich Untermenschen nennen und die Tatsache begrüßen, dass das KZ Auschwitz noch gepflegt wird, man könne es ja noch einmal brauchen.
Alles Worte eines bekannten griechischen Uralt-Neonazis, solche und zahlose ähnliche Äußerungen mehr finden sich in seinem neuesten Buch „Juden. Die ganze Wahrheit“. Seit Juni 2006 ist es auf dem Markt und umfasst etwa 1400 Seiten. Konstantin Plevris heißt der Autor. Er war über Jahre Führer einer „Partei des 4. August“, in Erinnerung an die an einem 4. August 1936 ausgerufene faschistische Diktatur des Joannis Metaxas, nach der er sich bis heute zurücksehnt. Er ist seit den 1960er Jahren einer der bekanntesten Aktivisten der rechtsradikalen Szene Griechenlands. Unter der Militärdiktatur der Obristen (1967-1974) brachte er es bis zum Dozenten für psychologische Kriegführung bei der Gendarmerie.
Das Buch, dessentwegen er schließlich vor den Schranken des Athener Landgerichts erscheinen musste, ist nur eine von zahlreichen Hetzschriften aus seiner Feder. Dass seine wüsten antisemitischen Ausbrüche überhaupt vor Gericht verhandelt wurden, ist der Zivilklage einer griechischen Antirassismus-Initiative zu verdanken, der sich der Zentralrat der jüdischen Gemeinden Griechenlands anschloss. Und weil antisemitische Hetze auch in Griechenland eigentlich ein Offizialdelikt ist, ergriff die Athener Staasanwaltschaft mit der Eröffnung des Verfahrens die Gelegenheit, die Nebenkläger vom Verfahren auszuschließen.
Angeklagt wurde der Plevris aufgrund des Gesetzes 927 aus dem Jahr 1979, in dem es, ähnlich wie im Volksverhetzungsparagraphen 130 des deutschen StGB heißt:
„Wer vorsätzlich in Wort oder Bild Handlungen fördert, die geeignet sind, Hass oder Gewalt gegen Personen oder Personengruppen einzig aufgrund ihrer rassischen oder ethnischen Abstammung anzustacheln, oder wer durch Wort oder Bild Ideen verbreitet, die Personen oder Personengruppen ihrer rassischen oder ethnischen Abstammung wegen beleidigt, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft.“ Zur Anwendung gekommen ist der Paragraph aber zunächst fast drei Jahrzehnte nicht. Obwohl es wahrlich mehr als einmal Anlass genug gegeben hätte.
Im Dezember 2007 wurde Plevris schließlich, zur verfrühten Genugtuung der jüdischen Gemeinden Griechenlands, zu 14 Monaten Haft verurteilt, das Urteil allerdings zur Bewährung ausgesetzt. Und weil das Strafmaß hoch genug war, konnte er Revision beantragen. Und die war erfolgreich – die fünfköpfige Strafkammer des Athener Landgerichts sprach ihn am 27. März 2009 letztinstanzlich frei.
Was im Verlauf des Verfahrens im Gerichtsaal alles geschah, wurde von den antinazistischen Bürgerinitiativen minutiös registriert, kam aber über ihre Web-Seiten kaum hinaus. Stundenlange antisemitische Hetztiraden des Angeklagten und seines als Verteidiger fungierenden Sohns Thanos, Bedrohungen der Zeugen der Anklage, Staatsanwälte, die aus ihrer Sympathie für die Ansichten des Angeklagten keinen Hehl machten. Und eine Strafkammer, die sich das alles geduldig anhört, ohne ein einziges Mal zu intervenieren.
Griechenland gehörte einmal zu den wenigen NS-besetzten Ländern Europas, wo die Juden fast überall auf Schutz und Hilfe rechnen konnten. Auf der Insel Skopelos beispielsweise versteckte der Bürgermeister des 2000-Seelen Dorfes Glossa mehr als ein Dutzend verfolgte Juden, alle wussten davon und es fand sich nicht ein einziger Verräter. In Frankreich oder in den Niederlanden wäre das undenkbar gewesen. Und in Athen protestierte der orthodoxe griechische Oberhirte, Erzbischof Damaskinos, offen gegen die Judenverfolgung (anders als der feige Oberhirte von Rom), und er schützte die meisten Athener Juden durch Scheintaufen und die Verteilung gefälschter Personalausweise erfolgreich vor der Deportation. Doch das ist lange her.
Heute ist Antisemitismus in Griechenland längst gesellschaftsfähig. Wohl kaum eine westeuropäische Gesellschaft habe sich so oberflächlich mit dem Genozid an den Juden auseinandergesetzt wie die griechische, ein großer Teil der griechischen Gesellschaft stehe dem Schicksal der Juden gleichgültig gegenüber, hat schon vor Jahren der Giessener Soziologe Andreas Christinidis festgestellt. Zugleich hat er einen verbreiteten verbalen Antisemitismus vor allem in linken Kreisen beobachtet, nicht zuletzt bei der sich sozialistisch nennenden PASOK, wobei hier nicht einmal das übliche Versteckspiel hinter dem Antizionismus praktiziert wird. So hat das sich links gebende Boulevard-Blatt „Avriani“ den Wahlsieg Obamas mit den Worten begrüßt: „Ein Signal für das Ende der jüdischen Vorherrschaft“, in Balkenlettern auf Seite eins. Und militante Antisemiten wie Kostas Plevris und sein Gefolge verstehen es, gerade den linken Antisemitismus geschickt für sich auszunutzen. So stellte der Angeklagte vor der Strafkammer des Athener Landgerichts die rhetorische Frage, warum nur er und nicht auch Mikis Theodorakis angeklagt werde, der in einer öffentlichen Äußerung die Juden als die „Wurzel des Bösen“ bezeichnet hatte.
Festzuhalten ist, dass die griechischen Massenmedien, mit Ausnahme dreier seriöser Tageszeitungen, den ganzen Prozess totgeschwiegen haben. Keiner der neun landesweit ausgestrahlten Fernsehkanäle berichtete auch nur ein einziges Mal aus dem Gerichtssaal, die Verurteilung des Plevris zu 14 Monaten auf Bewährung im Dezember 2007 wurde ebensowenig mitgeteilt wie jetzt sein Freispruch. Dafür hat der Neonazi Plevris seinerseits regelmäßig Gelegenheit, in griechischen Fernsehsendern aufzutreten und für seine Hetzschriften zu werben.
Konstantin Plevris selbst ist bei Wahlen stets erfolglos geblieben, dafür hat es sein gleichgesinnter Sohn, der ihn vor dem Athener Landgericht als Anwalt verteidigte, in der von Georgios Karatzaferis gegründeten ultrarechten Partei LAOS zum Abgeordneten gebracht. Diese Partei verfügt im griechischen Parlament über zehn Sitze, von insgesamt 300. Das ist nicht viel, und wesentlich mehr Sitze hatten die Rechtsradikalen in Griechenland nie. Aber stabile Regierungsmehrheiten für die zwei großen, sich an der Macht jeweils abwechselnden Parteien PASOK und Nea Dimokratia wird es in Zukunft nicht mehr geben, und schon jetzt kann sich die Partei LAOS gute Chancen ausrechnen, zur Mehrheitsbeschafferin für die Konservativen aufzusteigen – die Einstimmenmehrheit des Ministerpräsidenten Karamanlis wackelt, wegen eines der vielen Korruptionsskandale. Grund genug für den Premier und seine Partei, mit dem Plevris-Clan schonend umzugehen.
Was die jüdische Gemeinde besonders schockiert hat: All die prominenten griechischen Intellektuellen, die sonst zu jeder mehr oder weniger wichtigen „nationalen“ Frage schleunigst ihre Erklärung bei den Medien abliefern, hüllten sich nach dem Freispruch des Neonazis Plevris in eisiges Schweigen. Eine scharfe Reaktion kam dafür aus Deutschland: Die Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften (VDGG) äußerte ihren Abscheu, und in einer von ihrer Präsidentin, der ehemaligen SPD-Abgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk und der Vizepräsidentin Euthemia Gratsia unterschriebenen Erklärung wird die Entscheidung des Landgerichts als Schandurteil bezeichnet, das die griechische Justiz in Europa und der Welt in Verruf bringe.
Und das Simon-Wiesenthal-Zentrum gab in einem Brief an die griechische Außenministerin Dora Bakojanni (in ihrer Eigenschaft als amtierender OSZE-Präsidentin) ihrer Empörung Ausdruck, dass die griechische Regierung ebenso wenig auf den Fall Plevris reagierte wie Kirche und Gewerkschaften. Zentrums-Direktor Shimon Samuels forderte Bakojanni auf, die griechische Regierung (d.h.: auch sich selber) wegen Verstoßes gegen die Antisemitismus-Deklaration der OSZE von 2004 zur Ordnung zu rufen. Ein Spagat, den die Politikerin offenbar nicht aushielt und schwieg.
Dafür reagierte am 8. April der Sprecher des griechischen Außenministeriums, Jorgos Koumoutsakos, bei einer Pressekonferenz. Auf das Plevris-Urteil angesprochen sagte er: „Extreme Ansichten, wie sie der von Ihnen angesprochene Herr zum Ausdruck bringt, geben die Gefühle des griechischen Volkes nicht wieder,“ vielmehr beleidigten sie das griechische Volk in seiner Gesamtheit. Doch das Volk scheint von dieser Beleidigung nicht besonders beeindruckt gewesen zu sein, angemerkt hat man es ihm jedenfalls nicht. Und man darf wohl davon ausgehen, dass das einstimmige Urteil, mit dem die fünfköpfige Strafkammer des Athener Landgerichts den Neonazi Plevris auf Antrag der Staatsanwaltschaft freigesprochen und damit jede antisemitische Hetze in Griechenland straffrei gestellt hat, diesmal, einer abgenutzten Leerformel folgend, tatsächlich Im Namen des Volkes erging.
Konkret 6/2009