„Lügner und Betrüger?“

Rezension von Helmut Lölhöffel

Berühmte Hellenen wie der listenreiche Odysseus, die schöne Helena, der weise Sokrates, die künstlerische Melina Mercouri, der mächtige Aristoteles Onassis, der torgefährliche Theofanis Gekas oder die Figur des Lebenskünstlers Alexis Sorbas prägen unsere Wahrnehmung von den sagenhaften, den klassischen und den neuzeitlichen Griechen. Sie gelten als weltoffen und gastfreundlich, lebensfroh und improvisationsbegabt. Doch die schönen Fantasien sind getrübt. Manche tonangebende deutsche Medien stellen seit einiger Zeit die Griechen als notorische Lügner und Betrüger, unverbesserliche Diebe und Faulenzer hin und benutzten dafür einen beleidigenden Wortschatz, den sogar die Bundeskanzlerin in den Mund nahm. Unbestreitbar ist: die Griechen haben ihre Krise großenteils selbst verursacht und verschuldet. Aber es gab auch andere Faktoren, die maßgeblich zu dem Finanzdesaster beigetragen haben wie zum Beispiel weltweite Spekulationen gegen das Land, glänzende Geschäfte deutscher Banken mit griechischen Anleihen oder die hässliche Schmiergeldaffäre des Siemens-Konzerns, was gerne unterschlagen wird.

Eberhard Rondholz, ehemaliger WDR-Redakteur, der wechselweise in Berlin und auf der Insel Skopelos lebt, stellt die hausgemachten Fehlentwicklungen, die zu der heutigen katastrophalen Situation Griechenlands geführt haben, in aller Deutlichkeit dar: mangelnde Steuermoral der Bürger, grenzenlose Ausgabensucht des Staates, weit verbreitete Korruption und ungehemmte Selbstbereicherung der Eliten. Doch auch dies sind Fakten: Als vor eineinhalb Jahren die verheerenden griechischen Wirtschaftsdaten bekannt wurden, mahnte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle in Athen den Kauf von 60 Kampfflugzeugen zum Preis von zwei Milliarden an. Rondholz beschreibt das sinnlose griechisch-türkische Wettrüsten als „absurde Situation: Deutsche und französische Politiker drängen zu Käufen von Waffen, die zwei Nato-Partner aufeinander richten, und das, obwohl sie über den drohenden Staatsbankrott Griechenlands informiert sind“. Tatsächlich unterhält Griechenland mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern eine riesenhafte, aber unbrauchbare Panzerarmee, die dem Autor zufolge doppelt so groß ist wie die der Bundeswehr.

Aus eigener Erfahrung kenntnisreich und aus profundem Wissen beschreibt Rondholz Land und Leute, Geschichte und Gegenwart, Politik und Kultur, Tavernen und Gebräuche. Er tut dies mit unverhüllter Grundsympathie, aber vorurteilsfrei, mit kritischer Distanz und ohne philhellenistische Schwärmerei. Sein Buch ist eines der aufschlussreichsten und lebendigsten die je über Griechenland erschienen sind, vergleichbar am ehesten mit Baldur Bockhoffs fast 30 Jahre altem Streifzug durch Hellas.

Rondholz bringt uns das Land auf eine Art nahe, die an Geschichtenerzähler erinnert, wie sie noch heute im Kafenion weitab von Athen und vom Tourismus anzutreffen sind. Im Plauderton kommt er auf dies und das: Prominente und Dorffeste, Fischfang und Waldbrände, Sirtaki und Fußball, Kriege und Migranten, Städte und Filme – unterhaltsam und trotzdem gründlich, lehrreich und ohne zu belehren. So bietet Rondholz einen aktuellen und klischeefreien Rundumeindruck. Die Lektüre ist allen zu empfehlen, die Griechenland von innen kennenlernen möchten oder die sich aus der Ferne diesem liebenswerten Krisenland annähern wollen.

SZ, 07.11.2011
Eberhard Rondholz: Griechenland. Ein Länderporträt. Ch. Links Verlag, Berlin 2011. 200 Seiten, 16,90 Euro.