Die Verantwortung trägt eine durch und durch korrupte Politikerkaste
Die Regierung der Skandale und der „skandali“ – mit diesem Wortspiel versuchte am Montag die Athener Tageszeitung „Eleftherotypia” den Zustand des amtierenden Kabinetts Karamanlis auf den Begriff zu bringen. Wobei das griechische Wort skandali für den Abzugshahn einer Feuerwaffe steht, kurz: den Drücker.
Dass der Rambo in Uniform, der am letzten Samstag bei der Erschießung des 15jährigen Oberschülers Alexandros-Andreas Grigoropoulos die Hand am Drücker hatte, mit Billigung dieser Regierung gehandelt hätte, kann man sicherlich nicht unterstellen. Aber dass diese Regierung verantwortlich ist für den hoffnungslosen Ausbildungsstand der griechischen Polizei, das schon, und dafür, dass den Beamten die entsicherte Waffe zu locker sitzt.
Die Athener Polizei erweist sich jetzt in diesem heißen Winter als ebenso unfähig und schlecht ausgebildet wie die griechische Feuerwehr im Sommer. Sie kennt nur ein Konzept zur Eindämmung von Randale: Einzelpersonen herausgreifen und krankenhausreif schlagen, was sie auch in diesen Tagen wieder vor laufenden Kameras tut. Doch mit der Taktik der uniformierten Schlägertrupps kann man vielleicht ein paar hundert sogenannte „Autonome” in ihr Rückzugsgebiet im Athener Innenstadtviertel Exarchia zurückdrängen. Gegen die Wut und Gewaltbereitschaft vieler tausend zorniger junger Menschen richten sie nichts aus, das hat schon der Pariser Mai gezeigt.
Eine Generation ohne Perspektive
Woher diese maßlose Wut der griechischen Jugend, die nach dem Tod von Alexandros Grigoropoulos im ganzen Land regelrecht explodierte, vom thrakischen Xanthi bis zum westgriechischen Jannina, von Rhodos bis Kreta? Es waren ja nicht nur ein paar Athener Anarchisten, die da auf die Straße gingen, die „üblichen Verdächtigen”. Es sind Vertreter einer Generation ohne Perspektive, Schüler und Studenten, die nach dem Abschluss in ihrer Mehrheit eines erwartet: die Arbeitslosigkeit oder ein mies bezahlter Aushilfsjob. Und die wissen, wer für den maroden Zustand der griechischen Schulen und Universitäten die Verantwortung trägt – eine durch und durch korrupte Politikerkaste, die vor allem eines im Sinn hat: sich an Staatsgeldern zu mästen, vor aller Augen, schamlos und provokativ.
Geschichten aus dem Sumpf
Das geht schon seit Jahrzehnten so, doch hat sich die Zahl der einschlägigen Skandale in den letzten Jahren gehäuft, die Zeitungen berichten in Serie von den Geschichten aus dem Sumpf. Die schlimmste Folge für einen korrupten Minister: ein Rücktritt, allenfalls. Und während man in den Athener Zeitungen lesen kann, wie deutsche Siemensmanager wegen Schmiergeldzahlung vor Gericht zitiert, in Untersuchungshaft genommen und verurteilt werden, können in Griechenland die Empfänger der prallen Bakschischbeutel aus München weiterhin ruhig schlafen. In Athen ermitteln statt der Staatsanwälte parlamentarische Untersuchungsausschüsse gegen verdächtige Minister, bis alles fein verjährt ist. Mit anderen Worten: die Politiker entscheiden allein, ob einer der ihren seine Immunität verliert und gerichtlich zur Rechenschaft gezogen wird. Und das geschieht selbstverständlich nie.
Da spielt ein Minister mit Mönchen vom Berg Athos Monopoly, Staatsimmobilien wechseln zu skandalösen Bedingungen den Besitzer, und die Frau des Ministers kassiert die Provision. Ein Rücktritt ist fällig, klar. Aber mehr am Ende wahrscheinlich nicht. Zurückgetreten wird auch, wenn ein Arbeitsminister sein Geld in einen Schwarzbau steckt und ausländische Schwarzarbeiter beschäftigt. Aber dass sich ein wegen mutmaßlicher Korruption erpresster Kulturminister aus dem Fenster fallen lässt, ist schon die ganz große spektakuläre Ausnahme.
Milliarden für Waffen aus Deutschland
All das muss eine Jugend ohne Perspektive zur Kenntnis nehmen, Tag für Tag. Unterrichtet in maroden Schulen und Universitäten, für deren Sanierung angeblich kein Geld da ist. Das wird mit vollen Händen ausgegeben, wenn es um die modernste Ausrüstung für die Land-, See- und Luftstreitkräfte geht. Gerade war zu lesen, dass im kommenden Jahrzehnt wieder mal für 30 Milliarden Euro Kriegsgerät angeschafft werden soll. U-Boote und Jetfighter, Fregatten und Panzer. So geht das nun schon seit Jahrzehnten, Griechenland ist einer der besten Kunden der Waffenhändler der Welt. Fast die gesamten EU-Subventionen, die das Land für Agrarentwicklung und Infrastrukturmaßnahmen überwiesen bekommt kassiert, fließen so in die Geberländer zurück, das meiste kassieren die Waffenmeister aus Deutschland, von Krauss-Maffei bis Thyssen-Krupp.
Zur Abschreckung des von den Regierungen stets gern beschworenen Feindes im Osten und seiner territorialen Begehrlichkeiten täten es ein paar Panzer weniger an der griechischen Ostgrenze auch, aber die Zeitungen wissen auch immer wieder von den Begehrlichkeiten der mit dem Import von Kriegsgerät befassten Politiker zu munkeln. Und die sind groß, plauderte vor Jahr und Tag ein französischer Rüstungsmanager vor einem Paris-Gericht aus der Schule, in Athen erwarte man von den Lieferanten Gefälligkeiten, die doppelt so groß seien wie der Durchschnitt. Damals murmelte ein Athener Staatsanwalt etwas von Ermittlungen, und das war’s dann aber auch.
Wer nach den vielleicht schon bald fälligen vorgezogenen Neuwahlen den Zugriff auf die Fleischtöpfe bekommt, ist ungewiss, eine Koalitionsregierung wahrscheinlich, und was bleiben wird, ist höchstwahrscheinlich auch das verbrauchte Personal der alten politischen Klasse. Das Vertrauen der revoltierenden Jugend wird die nicht zurückgewinnen. Und höchstens darauf hoffen, dass die Rebellen von Athen wieder schweigend resignieren. Doch das könnte sich als Irrtum herausstellen – der Prozess gegen den uniformierten Todesschützen Epaminondas Korkoneas kommt bestimmt.
NRhZ, 10.12.2008