In Griechenland beginnen die migrantischen Arbeitssklaven sich zu wehren.
Die Zeiten, in denen hierzulande Erdbeeren erst auf den Tisch kamen, wenn sie in deutschen Landen gereift waren, sind lange vorbei. Längst werden die Früchte ja auch außerhalb der einheimischen Erntesaison angeboten. Unter welchen Bedingungen sie geerntet werden, ist den winterlichen Erdbeeressern allerdings in der Regel nicht bekannt – zum Beispiel, wie es in Nea Manolada in der nordwestlichen Peloponnes, nicht weit vom antiken Olympia, bei der Ernte zugeht. Dort werden 25.000 Tonnen Erdbeeren jährlich unter Plastikplanen produziert und auf allen europäischen Märkten angeboten. Unter Plastikplanen, in Bretterverschlägen, leben zumeist auch die Leute, die die Früchte ernten. Ende April waren diese Elendshütten in allen griechischen Fernsehprogrammen zu sehen, und zu erfahren war auch, zu welchen Löhnen in Manolada geerntet wurde: 18 bis 23 Euro pro Tag erhielten die vor allem aus Bangladesch und Pakistan stammenden Arbeiter, 50 bis 100 Euro Miete pro Monat wird vielen von ihnen auch noch für ihre Elendsquartiere abgezogen.
Ins Fernsehen und auf die Titelseiten aller griechischen Tageszeitungen gelangten die 2.500 »Erdbeersklaven«, wie die Athener Tageszeitung »Ta Nea« sie nannte, weil sie sich das alles nicht länger bieten lassen wollten. Sie streikten. Und weil Erdbeeren eine ziemlich verderbliche Ware sind – einmal reif, verfaulen sie schnell – , heuerten die Grundbesitzer Schlägertrupps an, um die Streikenden zurück an die Arbeit zu prügeln. Krankenhausreif geprügelt wurden auch ein paar kommunistische Gewerkschafter, die aus Athen angereist waren, um sich mit den Streikenden zu solidarisieren. Das war zuviel, die Presse kam. Und am Ende setzten die Streikenden eine Lohnerhöhung von durchschnittlich fünf Euro pro Tag und Überstundenzuschläge durch.
Der Regierung ist seit langem bekannt, wie griechische Agrarproduzenten mit ihren Arbeitssklaven umgehen. Sie läßt die Unternehmer gewähren, obwohl die oft weder Steuern noch Sozialversicherungsbeiträge abführen und sich auch nicht an den von den Gewerkschaften erstrittenen Mindesttagelohn von 30 Euro halten. Damit machen sie sich strafbar. Bis zu 15.000 Euro Strafe könnten da verhängt werden nach dem Gesetz 3386 aus dem Jahr 2005, zusätzlich drei Monate Gefängnis. Doch von einem Vollzug dieses Gesetzes hat man noch nichts gehört. In Athen verschließt man die Augen vor dem Problem – schließlich helfen die Ausbeuter der Regierung, sich ein Problem vom Hals zu schaffen: die Notwendigkeit, sich um das wachsende Heer illegaler Wirtschaftsflüchtlinge kümmern zu müssen, die auf dem Weg in ein anderes EU-Land ihrer Wahl in Griechenland stranden – 115.000 waren es allein in den letzten 12 Monaten, berichtete die Athener Nachrichtenagentur ANA, Tendenz: steigend.
Ähnlich den EU-Staaten Spanien und Italien ist Griechenland in den letzten zwei Jahrzehnten vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland geworden. Die erste große Einwanderungswelle nach dem Ende des stalinistischen Regimes in Albanien hat Hellas, nach anfänglichen Schwierigkeiten, noch gut verkraftet. Einmal zu der Einsicht gekommen, daß Massenabschiebungen angesichts der schwer kontrollierbaren Grenze nichts fruchteten, daß die Albaner andererseits das Bruttosozialprodukt mehrten, entschloß man sich in Athen realistisch zur Legalisierung der bald über 500.000 Illegalen. Jetzt zahlen sie Steuern und Sozialversicherung und bekommen dafür in regelmäßigen Abständen ihre Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen erneuert. Sie sind mittlerweile erstaunlich gut integriert, gegen sie gerichtete fremdenfeindliche Ausschreitungen sind selten. Man schätzt die Albaner vor allem als Bauarbeiter und Handwerker, sie verdienen durchweg mehr als den gesetzlichen Mindestlohn. Wenn ein paar von ihnen als Rauschgifthändler, Viehdiebe oder Einbrecher auffallen, wird das in der Regel nicht überbewertet.
Einigermaßen geregelt ist auch die saisonale Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. Völlig überfordert ist das Land dagegen mit den außereuropäischen Migranten, die in den letzten Jahren aus Nah- und Mittelost, zunehmend auch aus Südostasien und Afrika ins Land strömen. Nach einer Statistik des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) stellen mittlerweile Pakistani und Bangladeshi zusammen mehr als 60 Prozent der in Griechenland ankommenden Migranten, auf Flüchtlinge aus dem Irak entfallen weitere knapp 17 Prozent.
Die meisten Migranten werden von Schlepperbanden für horrende Honorare teils auf dem Landweg über die griechisch-türkische Grenze in Thrazien, teils übers Wasser vom kleinasiatischen Festland auf eine der vorgelagerten ägäischen Inseln geschleust. Auf der Insel Leros kamen allein vom 5.bis 7. Mai über 300 Flüchtlinge an Land. Es herrscht Ausnahmezustand auf den Inseln, von Übergriffen wird berichtet, die Zustände in den Aufnahmelagern sind teils katastrophal. In einer Publikation des UNHCR heißt es über die Bedingungen, unter denen die Flüchtlinge und Asylsuchenden untergebracht werden, mit der für diese Organisation gebotenen diplomatischen Zurückhaltung: »Sie werden heute sowohl von griechischen Stellen (zum Beispiel dem Büro des Bürgeranwalts) als auch von internationalen Organen (wie dem Komitee gegen die Folter oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte) als besonders problematisch eingeschätzt, in einigen Fällen als unter der Grenze der Menschenwürde.«
Asylrelevante politische Fluchtgründe können nur die wenigsten vorbringen, und einen Asylantrag stellen ohnehin nicht mehr als 10 Prozent der registrierten Migranten. Die Anerkennungsquote liegt unter einem Prozent, 2006 wurden laut UNHCR-Bericht ganze 64 von 12.267 Anträgen positiv beschieden. Im Jahr 2000 hatte die Quote noch 11,2 Prozent betragen, weiteren 8,9 Prozent der Antragsteller wurde eine Duldung gewährt. Doch da galt die EU-Verordnung »Dublin II« noch nicht, die festlegt: Wer die EU über ein sogenanntes »sicheres Drittland« erreicht, darf dorthin abgeschoben oder schon an der Grenze ohne rechtliches Gehör zurückgewiesen werden. Damit sind Länder ohne EU-Außengrenzen wie Deutschland das Problem los. Griechenland theoretisch auch – die Türkei gilt für die EU als ein sicheres Drittland. Doch sie nimmt die von türkischen Schleusern auf ägäische Inseln verfrachteten Migranten in der Regel nicht wieder auf.
Und so werden die Gestrandeten, nach 30 Tagen im Auffanglager und erkennungsdienstlicher Behandlung, einfach entlassen – in der Hand ein Papier, das sie auffordert, innerhalb von 30 Tagen auszureisen. Eine Aufforderung, die im Regelfall nicht durchsetzbar ist, und so versuchen die Behörden es auch gar nicht erst. Nur einem kleinen Teil der Migranten gelingt die illegale Weiterreise. Mehrere tausend warten zur Zeit an der griechischen Westküste, im Hafen von Patras, auf die Chance, sich in einem LKW versteckt als blinde Passagiere auf eine Fähre nach Italien zu schmuggeln. Alle Jahre wieder zeigt auch das deutsche Fernsehen das Elend dieser Gestrandeten.
Die meisten tauchen irgendwo im Land unter, sei es in der Vier-Millionen-Metropole Athen, sei es irgendwo in der Provinz. Schlepper vermitteln die Illegalen dort an Großgrundbesitzer, die sich mit den Billigarbeitern eine goldene Nase verdienen. Griechen finden sie für die Landarbeit schon lange nicht mehr, auch keine Albaner, ob für’s Spargelstechen in Thrazien oder die Pfirsichernte in Mazedonien. Was die »Erdbeersklaven« von Manolada angeht, so sind sie nach dem Ende ihres Streiks schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Sie ernten weiter die roten Früchte, unter den gleichen elenden Bedingungen wie bisher. Für ein paar Euro mehr. Ihr Beispiel könnte Schule machen. ?
Konkret 06/2008
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