Der ungesühnte Massenmord

In diesen Tagen wird allenthalben der Nürnberger Prozesse vor 60 Jahren gedacht. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einem neuen Völkerstrafrecht, das Kriegsverbrechen nicht ungesühnt lassen soll (privilegierte Staaten natürlich ausgenommen), so tönt es hier und da sehr feierlich. Etwas verschämt erinnert man an der einen oder anderen Stelle daran, daß deutsche Juristen damals lauthals »Siegerjustiz« riefen, hinter vorgehaltener Hand sagen’s manche von ihnen ja noch heute.

Nicht zur Sprache kam anläßlich der Jahrestagsfeiern, daß der bislang einzige Angeklagte, den die bundesrepublikanische Justiz als Kriegsverbrecher verurteilte, ein Serbe war. Deutsche Kriegsverbrecher kennt die BRD-Justiz bis heute nicht. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten bekanntlich weitestgehend fest im Griff der alten Kameraden, hat sie auch nach der biologischen Entnazifizierung Anfang der 70er Jahre ihre schützende Hand über die Täter gehalten.

Auch die Dortmunder Zentrale für die Verfolgung von NS-Verbrechern wurde bis Anfang der 70er von bewährten Ex-NS-Rechtswahrern betreut, die Einstellungsverfügungen am laufenden Band produzierten. Und die bayerische Justiz erweckt noch heute den Eindruck, die alten Kameraden führten da weiter Regie. Dabei sind es doch eher jüngere Kameradenkreise, die da zu wirken scheinen. Erst Ende September wurde durch ein Protestschreiben des italienischen Verteidigungsministers im »Corriere della Sera« bekannt, daß die Staatsanwaltschaft München 1 im Juli in aller Stille ein Ermittlungsverfahren ad acta gelegt hat, das sich mit einem der Beteiligten am Massenmord von Kefalonia zu befassen hatte.

Auf der griechischen Insel Kefalonia, dies zur Erinnerung, hatte die Wehrmacht im September 1943 auf Befehl des Führers fast 5.000 italienische Kriegsgefangene der Division Acqui niedergemetzelt, die sich nach der Separatkapitulation des Achsenpartners Italien nicht sofort den Deutschen ergeben hatten. Die Leichen ließ man einfach liegen, die Griechen durften aufräumen. Die Täter, Angehörige der 1. Gebirgsdivision mit dem Edelweiß, sind sämtlich durch die Maschen der deutschen

Justiz geschlüpft, die letzten Veteranen rotten sich alljährlich zu Pfingsten in Mittenwald zusammen, eine Bundeswehrkapelle spielt auf zum Großen Zapfenstreich.

Otmar Mühlhauser, einem der letzten noch lebenden Mitwirkenden beim »Ecidio di Cefalonia«, dem Massaker von Kefalonia, an das in Italien noch manche Straßennamen erinnern, bescheinigten die Münchner Staatsanwälte, um den Mord zum Totschlag umzumodeln (der juristisch nach 20 Jahren verjährt), in ihrer Einstellungsverfügung u.a. dies: Er habe auf Befehl des Führers gehandelt, und die bloße Befolgung eines rechtswidrigen Befehls sei nicht ohne weiteres hochverächtlich, sie könne vielmehr »Ausdruck einer menschlichen Schwäche sein, die zwar weder rechtlich noch sittlich zu billigen ist, aber nach sittlicher Wertung nicht notwendig auf niedrigster Stufe steht. Nicht aus-schließbar war dies hier der Fall.« Menschliche Schwäche als mildernder Umstand beim Massenmord – das hat man so noch nicht gelesen.

Daß die massakrierten Italiener 63 Jahre nach ihrem Tod als »Verräter« durch den Münchner Schriftsatz geistern, ist eine der offensichtlich von alten Kameraden inspirierten Formulierungen, die in Italien besonders aufmerksam registriert wurde. Eine andere die Behauptung, der Gefangenenmord aus Rache habe militärische Motive gehabt. Aber der Mordbefehl kam schließlich vom Oberbefehlshaber der Wehrmacht persönlich, wie sollte es da anders gewesen sein.

Apropos »menschliche Schwäche«: Wir wollen die menschliche Schwäche des voraus-eilenden Gehorsams dem Münchner Staatsanwalt hier nicht unterstellen. Aber ungehört verhallt ja auch in München nicht, was zu Pfingsten alljährlich am Mittenwalder Veteranenstammtisch der Edelweißtruppe schwadroniert wird, und daß der große Freund und Schirmherr der Gebirgsjäger ein gewisser Edmund Stoiber ist, seines Zeichens Mitglied des Kameradenkreises der 1. Gebirgsdivision. Soll sich’s ein karrierebewußter Münchner Staatsanwalt mit so einem verderben?

Übrigens: In Italien verurteilt die Justiz (nach jahrzehntelangem Stillhalten aus Gründen der Nato-Disziplin) neuerdings deutsche Kriegsverbrecher, zuletzt am 29. September, wegen eines Massakers, begangen im Juni 1944 im toskanischen Falzano di Cortona. Der frühere Major Herbert Stommel und der Ex-Unteroffizier Josef Scheungraber bekamen lebenslänglich. In absentia, versteht sich, das tut den Tätern nicht mehr weh. Denn ausgeliefert wird ein deutscher Kriegsverbrecher den verräterischen Italienern selbstverständlich nicht. Wo kämen wir da hin.

Konkret 11/2006