Kampf um „Mein Kampf“

Hitler Raubdrucke kursieren ungestraft und auflagenstark in Griechenland

Im Dezember 2007 musste sich ein gewisser Konstantin Plevris, berüchtigtes geistiges Oberhaupt der (inzwischen auch im Athener Parlament vertretenen) griechischen Neo-Naziszene, wegen einer Buchveröffentlichung vor einer Strafkammer des Athener Landgerichts verantworten. Es ging um eine 1.400 Seiten starke antisemitische Hetzschrift mit dem Titel: „Juden. Die ganze Wahrheit“. In diesem üblen Buch verbreitet er nicht nur alle sattsam bekannten antisemitischen Stereotype bis hin zu den „Protokollen der Weisen von Zion“, er rechtfertigt den Nazi-Massenmord an den Juden und wirft seinem Vorbild Hitler nur eins vor: dass er sein Werk der Befreiung Europas von den Juden nicht vollendet habe. Und deshalb sei es gut, dass man das KZ Auschwitz in so gutem Zustand erhalte – es werde eines Tages noch gebraucht.

Während der Gerichtsverhandlung präsentierte Nazi Plevris ein voluminöses, in Leinen gebundenes Buch in griechischer Sprache: „O Agon Mou“, zu deutsch: „Mein Kampf“, von Adolf Hitler. Dieses Buch, argumentierte der Angeklagte, zirkuliere in Griechenland seit 2006 ungehindert, und dieses Buch beschimpfe die Juden. Kann mir jemand erklären, fragte Plevris empört, warum der Verleger dieses Buches nicht belangt wird, sondern ich, der ich nichts anderes sage?

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Ausgabe von 1925

Das konnten die Richter in der Tat nicht erklären, verurteilten den Plevris dennoch zu 14 Monaten Gefängnis. Erst in der nächsten (und letzten) Instanz hatte die griechische Justiz ein Einsehen und sprach Plevris am 27. März 2009 frei, seine Hetzschrift erscheint weiter ungehindert, nunmehr mit höchstrichterlichem Segen, ein in EU-Europa einmaliger Vorgang. Ungehindert erscheint weiterhin auch Hitlers „Mein Kampf“, mittlerweile in zwei verschiedenen Übersetzungen und ungekürzt, die eine der beiden nach Verlagsangabe in der 18. Auflage: ein Bestseller. Wozu die äußere Aufmachung beigetragen haben mochte: sie ist einer frühen Originalausgabe des Buchs grafisch nachempfunden, zeigt ein Portrait des Führers auf dem Cover und den griechischen Titel in gotischen Lettern. Kurz: es ist ein Szene-Kultbuch.

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Im Vergleich dazu die griechische Ausgabe

Doch während antisemitische Hetze in Wort und Schrift in Griechenland seit dem Plevris-Grundsatzurteil nunmehr strafrechtlich ohne Verfolgung bleibt, harrt eine zivilrechtliche Seite der Hitlernachdrucke bislang noch der Klärung. Es gibt bekanntlich immer noch Urheberrechtsschutz für das opus magnum des „Führers“ (das diesen seinerzeit zum vielfachen Millionär gemacht hat), und darüber wacht, bis auf weiteres, das Finanzministerium des Freistaates Bayern am Münchner Odeonsplatz. So wurde und wird auch dem Münchner Institut für Zeitgeschichte verwehrt, das Hitler-Buch für wissenschaftliche Zwecke in einer historisch-kritischen Ausgabe zu edieren. Und das ist eine sehr umstrittene Entscheidung.

Aber, wie aber verhält es sich im Ausland, wo „Mein Kampf” in zahlreichen unautorisierten Übersetzungen im Umlauf ist, wie im EU-Mitgliedsland Griechenland? Die seriöse griechische Presse hat sich längst des Themas angenommen, die auflagenstarke Tageszeitung „Eleftherotypia“ hat eine seitenlange Dokumentation dazu veröffentlicht, und die hat, so darf man unterstellen, natürlich auch die deutsche Botschaft in Athen zur Kenntnis genommen. Aber es geschah nichts, um auch in Athen das durchzusetzen, worauf das bayrische Finanzministerium gegenüber dem Münchner Institut für Zeitgeschichte besteht.

Nach mehreren vergeblichen mündlichen Anfragen dazu beim bayrischen Finanzministerium hat dieses mittlerweile auf eine schriftliche Nachfrage des Westdeutschen Rundfunks reagiert, sich für den Hinweis auf die griechischen Hitlernachdrucke bedankt, von denen es vorgeblich bis dahin nichts wusste und am 22. September angekündigt, Schritte unternehmen zu lassen: „Das Auswärtige Amt wurde gebeten,“ heißt es da, „die Botschaft in Athen zu bitten, Gespräche vor Ort aufzunehmen und die Herausgeber zur Abgabe schriftlicher Unterlassungserklärungen zu bewegen. Sollten die Verlage in Griechenland nicht bereit sein, die Rechtsposition des Freistaats Bayern anzuerkennen und entsprechende zivilrechtliche Unterlassungserklärungen zu unterzeichnen, wird die Einleitung zivilrechtlicher Verfahren geprüft werden.“

Und das kann ganz schön lange dauern, so langsam wie die Mühlen der Bürokratie in der bayrischen, der deutschen und der griechischen Hauptstadt mahlen, will sagen: Man verschiebt den casus „O Agon mou“ wohl lieber ad calendas graecas, wie die alten Römer den Sankt-Nimmerleinstag nannten, und wartet, bis sich die Sache durch Zeitablauf erledigt hat. In sechs Jahren nämlich, am 31.12. 2015, 70 Jahre post mortem auctoris, endet die Schutzfrist des bis dahin von Hitlers Nachlassverwaltern am Münchner Odeonsplatz wahrgenommenen Urheberrechts. Und das heißt: Dann darf „Mein Kampf“ legal nachgedruckt werden, wo immer nationales Strafrecht dem nicht entgegensteht. In Deutschland verbietet § 130 Abs.1 StGB die Veröffentlichung antisemitischer Hetzschriften – ob dieser Paragraph auch der Publikation einer historisch-kritischen Ausgabe von „Mein Kampf“ für wissenschaftliche Zwecke entgegensteht, wird noch zu klären sein.

Eine dem deutschen Volksverhetzungsparagrafen analoge Strafvorschrift gibt es seit 1979 auch in Griechenland, mit dem Unterschied, dass die griechische Strafjustiz nicht viel davon hält, wie der Freispruch des Konstantin Plevris gezeigt hat. Und jetzt sorgt die Untätigkeit der Münchner Hitler-Nachlassverwalter dafür, dass sich die griechische Ziviljustiz mit dem Fall „Mein Kampf“ gar nicht erst beschäftigen muss. Ein weiterer Triumph der griechischen Neofaschisten, die die ungehinderte Zirkulation des Hitler-Werks auch weiterhin zum Präzedenzfall für die Publikation ihrer eigenen Hetzschriften nehmen werden. Und die Athener Hitler-Verleger machen weiterhin gute Geschäfte.

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Foto: Roby

Nachtrag: Der Autor von „Mein Kampf“ hat übrigens zu Lebzeiten nicht lange gefackelt, wenn es darum ging, einen unerwünschten Nachdruck seines Werks im Ausland unterbinden zu lassen: Als 1934 eine unautorisierte französische Ausgabe in Paris erschien, setzte der „Führer“ unverzüglich ein Verbreitungsverbot von „Mon Combat“ durch – er hielt es aus diplomatischen Gründen für unangebracht, die Franzosen zur Unzeit mit den frankophoben Passagen des Werks bekannt zu machen…

NRhZ, 30.12.2009