Petros Markaris ist in Deutschland der meistgelesene griechische Schriftsteller unserer Tage. Im neusten seiner realistischen Krimis um den Athener Kommissar Kostas Charitos hat er es allerdings mit dem historischen Detail nicht immer ganz genau genommen.
Am 11. Juli 2007, dem 12. Jahrestag des Massakers von Srebrenica, meinte „Welt“-Autor Seewald Sensationelles vermelden zu können: „Ein Krimiheld enthüllt Neues über Srebrenica“, und etwas weiter unten las man: „Griechen massakrierten mit“. Nun ist das, was Springers Seewald da verkündete, ein abgelutschter Knochen, die britische Presse hatte sich an der Geschichte schon vor zwei Jahren abgearbeitet, die „FAZ“ etwas später. Aber bei der „Welt“ liest man, wie’s scheint, nicht einmal das, was die rechtsbürgerliche Konkurrenz druckt, und so verkaufte man als neu, was der griechische Bestsellerautor Petros Markaris in seinem jüngsten, kürzlich bei Diogenes erschienenen Krimi Der Großaktionär so gar nicht geschrieben hat. Das heißt, daß griechische Freiwillige sich in kleiner Zahl bei den Serben als Legionäre verdingten, steht da schon, das war bereits 2005 in einem in London von dem Griechen Takis Michas publizierten Buch zu lesen, auch haben sich einige von ihnen längst öffentlich dazu bekannt. Etwas Ungewöhnliches war das ohnehin nicht, schließlich hatten die Kroaten ihrerseits etliche deutsche Söldnergehilfen, die Bosniaken den Beistand heiliger Krieger aus Nahost.
Doch die Mitwirkung namentlich bekannter griechischer Legionäre am Massaker von Srebrenica hätte gewiß die del Ponte aktiv werden lassen, nur ist in Athen von einem Auslieferungsantrag aus Den Haag bis heute nichts bekannt. Daß indessen ein paar von ihnen eben das befürchtet hätten, erfindet Markaris und läßt sie, Teil seiner hier etwas konstruierten Story, ein Fährschiff auf dem Weg von Piräus nach Kreta kapern, um einer Auslieferung zu entgehen.
Außer in den jüngsten Balkankrieg führt Markaris die Leser noch in den Zweiten Weltkrieg zurück, in die Zeit der deutschen Besatzung, in das Jahr 1943. Und da läßt er beim berüchtigten Massaker von Kalavryta, mit dem die Wehrmacht Rache nahm für einen erfolgreichen Partisanenüberfall mit 81 deutschen Toten, 693 Dorfbewohner von griechischen Kollaborateuren umbringen, Angehörigen der sogenannten Tagmata Asfalias, der Sicherheitsbataillone – wobei sich ein gewisser Sachos Kommatas besonders ausgezeichnet haben soll: „Die Deutschen hatten die generalstabsmäßige Planung und die Aufsicht übernommen, die Mitglieder der Sicherheitsbataillone das Töten. Kommatas … tötete die meisten. Einer von den Dolmetschern der Deutschen sagte später, die Deutschen hätten ihn ständig ermahnt: ›Sachos, keine Frauen und Kinder!‹ Doch er tat so, als hätte er nichts gehört. Er steigerte sich in einen Blutrausch hinein …“
An dieser, im Roman von einem ehemaligen Partisanen erzählten Geschichte stimmt, mit Ausnahme der Zahl der Toten, so gut wie nichts. Die 117. Jägerdivision hat ohne fremde Hilfe massakriert und den Tathergang in guter deutscher Bürokratenmanier minutiös ins Kriegstagebuch geschrieben, man kann das alles im Bundesarchiv/Militärarchiv nachlesen. Auch daß in diesem Fall ausschließlich Männer exekutiert worden sind, steht da wahrheitsgemäß.
In seiner Heimat hat sich Petros Markaris als exzellenter Brecht- und Goethe-Übersetzer sowie als Drehbuchschreiber für den Filmemacher Theo Angelopoulos einen Namen gemacht. In Deutschland erfreut er sich einer großen Lesergemeinde, sein Athener Kommissar Kostas Charitos ist so etwas wie das griechische Pendant zu Donna Leons venezianischem Kult-Commissario Brunetti. Markaris kommt es in seinen Geschichten darauf an, dem griechischen Leser einen Spiegel vorzuhalten, Verdrängtes in Erinnerung zu rufen. Er tut das auf sehr überzeugende Weise, leuchtet hinein in die Nachtseiten der griechischen Hauptstadt, die Schmuddelecken jenseits von Akropolis und Plaka; da geht es um Rotlichtkriminalität, Xenophobie und anderes mehr. Jetzt war die ultrarechte Szene an der Reihe, auch die kritiklose Solidarität vieler Griechen mit den Mladic und Karadzic. Und, vor allem, die Rolle so mancher seiner Landsleute als willige Vollstrecker der Nazibesatzer in den vierziger Jahren, die nach Ende der deutschen Besatzung, unter dem Schutzschirm von Bürgerkrieg und Kaltem Krieg, ihrer Strafe entgingen und erfolgreich Karriere machten. Da kommt’s ihm aufs korrekte Detail nicht immer an, und an den deutschen Leser hat er dabei ohnehin nicht gedacht. Doch der, und da wird’s haarig, möchte das für den Krimi zurechtgemachte Stück Zeitgeschichte nur zu gern für die historische Wahrheit nehmen, sich freuen über ritterliche deutsche Landser, die griechische Killer vom Abschlachten der Frauen und Kinder abhalten wollen.
Doch Rücksicht auf Frauen und Kinder war im deutsch besetzten Griechenland ganz und gar nicht die Regel. Beispiel: Das nordwestgriechische Kommeno, einer der vielen Tatorte, wo die 1. Gebirgsdivision gewütet hat, jene berüchtigte sadistische Killertruppe mit dem Edelweiß, deren letzte Veteranen Jahr für Jahr in Mittenwald ihre Heldentaten feiern, stets von Edmund Stoiber in seiner Eigenschaft als Ehrenmitglied ihres Traditionsvereins mit einer Grußbotschaft bedacht. In Kommeno wurden am 16. August 1943 überwiegend Frauen und Kinder Opfer der Edelweißler, und die Frauen wurden noch als Leichen von den Landsern mißbraucht. Die Gebirgsjäger konnten das gefahrlos tun, denn sie kannten Hitlers sogenannten Bandenbefehl vom 16. Dezember 1942 („Banden“ hießen im Wehrmachtsjargon die Freiheitskämpfer in den besetzten Gebieten): „Wenn dieser Kampf gegen die Banden sowohl im Osten wie auf dem Balkan nicht mit den allerbrutalsten Mitteln geführt wird, so reichen in absehbarer Zeit die verfügbaren Mittel nicht mehr aus, um dieser Pest Herr zu werden. Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampf auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.“
Da diese Dienstanweisung des Führers zudem mit einem strikten Strafverfolgungsverbot ausgestattet war, befolgte die Truppe, ob Wehrmacht oder Waffen-SS, den Bandenbefehl auch in Griechenland ohne Hemmungen. Hemmungslos mordeten auch die griechischen Kollaborateure und nahmen den Besatzern gelegentlich die blutige Drecksarbeit ab. Im nordgriechischen Chortiatis beispielsweise: Da hat eine von einem gewissen Schubert geführte, aus dem griechischen Lumpenproletariat rekrutierte Terror-Sondereinheit der Wehrmacht gewütet, und es wurden, anders als in Kalavryta, tatsächlich griechische Frauen und Kinder von Griechen massakriert, einige lebendig verbrannt.
Es stehen also die griechischen Handlanger der Besatzer in diesem Krimi zu Recht am Pranger, sie waren vielerorts gefürchteter als selbst die Waffen-SS. Und Petros Markaris sagt: Ein Roman ist ein Roman, kein Geschichtsbuch, der Krimiautor kein Historiker. Aber der deutsche Leser sollte schon wissen, wie es in Kalavryta, in Kommeno und Chortiatis wirklich war. Ansonsten: viel Spaß bei der Lektüre der neuesten Kostas-Charitos-Story.
Petros Markaris: „Der Großaktionär. Ein Fall für Kostas Charitos“. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Diogenes, Zürich 2007, 480 Seiten, 21,90 Euro
Konkret, 11/2007